Plastik: „Chemiebranche verführt Politik“

Plastik: „Chemiebranche verführt Politik“
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Plastik: „Chemiebranche verführt Politik“

n-tv.de: Die Welt sucht nach einer Lösung für ihren Plastikmüll. Die EU setzt ab 2030 auf Recyclingquoten für Verpackungen. Gerade die Chemieindustrie hat sich dafür eingesetzt, sie wittert ein neues Geschäft mit dem sogenannten chemischen Recycling. Branchenexperte Christian Schiller unterstellt Unternehmen wie BASF im „Klima-Labor“ von ntv dagegen Lobbyismus, der Deutschland schaden wird: „Die Industrie schafft sich quasi ihren eigenen Absatzmarkt, denn nur sie kann chemisches Recycling betreiben“, sagt der Gründer des Hamburger Recyclingunternehmens Cirplus. Ihm zufolge ist das jahrzehntealte alte Verfahren teuer, produziert toxische Nebenprodukte und hat nie richtig funktioniert. „Ohne Zwang würde diese Rezyklate niemand kaufen“, sagt Schiller. Er befürchtet, dass die deutsche Chemieindustrie die Fehler der deutschen Autobauer wiederholt.

ntv.de: Wie werden Plastik- oder Kunststoffabfälle im Moment recycelt?

Christian Schiller: Überwiegend gar nicht. Zwei Drittel der deutschen Kunststoffabfälle werden energetisch verwertet. Das ist ein beschönigender Begriff für verbrannt. Genau genommen wird hier Erdöl verbrannt, denn 99 Prozent aller Kunststoffe werden aus Erdöl hergestellt.

Was passiert mit dem anderen Drittel?

Das wird gesammelt, gewaschen, zerkleinert und dann wieder eingeschmolzen. Dann kann es erneut für Kunststoffprodukte genutzt werden. Es wird aber in den meisten Fällen „downgecycelt“, aus der Shampoo-Flasche wird also ein weniger hochwertiges Produkt, weil man den hohen Verpackungsanforderungen mit Recycling oft nicht gerecht wird. Dabei wäre es möglich, dass wir Kunststoffe hochwertig recyceln. Das beste Beispiel ist die Pfandflasche, die wir im Supermarkt zurückgeben. Die wird zerkleinert, geschmolzen und in eine neue Flasche gegossen – mit Lebensmittelzulassung. Das Material kann so acht- bis zehnmal im Kreis geführt werden. Wie gut wir recyceln, liegt also weniger am Kunststoff, sondern viel mehr daran, wie wir damit umgehen: Die Pfandflasche ist schon sehr sauber, wenn sie zurück in den Kreislauf geht.

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Das Problem sind Verbraucher, die ihren Müll nicht richtig trennen?

Das ist ein sehr bequemes Argument der Industrie. In Wirklichkeit kann niemand mit dem menschlichen Auge die unterschiedlichen Kunststoffarten erkennen. Es gäbe aber Technologien, die das könnten und wir könnten Produkte so designen, dass sie leichter zu recyceln sind. In einer Mittelkonsole eines Pkw werden etwa drei verschiedene Kunststofftypen verklebt. Davon kann man tatsächlich nichts recyceln. Dafür müsste man das Produktdesign ändern. Aber es ist einfach viel billiger, neues Plastik einzusetzen, als zu recyceln. Das ist das Geschäftsmodell der Chemieindustrie: Ihre Raffinerien müssen das ganze Jahr lang laufen und neues Plastik auf den Markt bringen.

Gibt es denn ein wirtschaftliches Argument für Recycling?

Aus volkswirtschaftlicher Sicht schon, das haben auch die EU-Kommission und die Bundesregierung erkannt. Deswegen kommt jetzt die nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Wir sind ein rohstoffarmer Kontinent, haben aber unglaublich viele Erdölprodukte in Europa in Form von Verpackungen, Automobilen etc. Warum nutzen wir das nicht, sondern machen uns weiter abhängig von Volkswirtschaften, die Erdöl und Erdgas kontrollieren?

Aber betriebswirtschaftlich lohnt sich das Recycling für die Chemieindustrie nicht?

Wenn das Geschäftsmodell ist, aus Erdöl petrochemische Produkte wie Benzin oder eben Kunststoff zu machen, hat man wenig Interesse daran, die Produkte mehrfach im Kreis zu führen. Das ist die Domäne des Abfallmanagements. Bei Chemieunternehmen findet in diesem Bereich keine Wertschöpfung statt.

Deswegen will die Chemieindustrie die Kreislauf-Gesetzgebung in diese Richtung verhindern?

Auf jeden Fall will sie die Gesetzgebung verlangsamen. Aber die Chemieindustrie hat erkannt, dass sie so nicht weitermachen kann. Deswegen setzt sie inzwischen auch auf das sogenannte „chemische Recycling“. Dahinter verbergen sich viele Technologien, die bereits seit der Erdölkrise in den 1970er-Jahren bekannt sind und nie funktioniert haben, interessanterweise aber immer als Zukunftstechnologien verkauft werden. Für die Chemieindustrie sind sie aber interessant, denn nur sie kann dieses chemische Recycling betreiben. Vereinfacht gesagt werden unter hohem Druck, mit hohem Energieaufwand und auch mit relativ vielen toxischen Nebenprodukten alte Plastikketten aufgebrochen, um daraus neues Plastik zu machen. Bisher gibt es aber nur Pilotanlagen.

Was genau ist der Plan der Industrie?

Normalerweise sind Industrieverbände nicht für Regulierung, aber in diesem Fall setzt sich die Chemieindustrie für Recyclingquoten ein, weil sie weiß: Chemisches Recycling ist extrem teuer, für diese Rezyklate gibt es eigentlich keinen Markt. Ohne Zwang würde die niemand kaufen. Die Verpackungsverordnung der EU soll im November final ausgearbeitet werden. Die schreibt tatsächlich Mindest-Rezyklat-Quoten vor. Ab 2030 gibt es je nach Verpackungsart verschiedene Vorgaben – einen Bereich erfüllt theoretisch nur das chemische Recycling, etwa bei Verpackungen für Lebensmittel. Die Industrie schafft sich quasi ihren eigenen Absatzmarkt, denn die Verpackungsfirmen müssten dann einen Mindestanteil an chemisch recycelten Produkten einsetzen.

Lässt sich bereits sagen, wie viel teurer diese Verpackungen später wären?

Bei normalen Konsumgütern macht der Verpackungspreis zwischen fünf und zehn Prozent aus. Wenn die Verpackung also doppelt so teuer wird, spüren die Verbraucher das auf jeden Fall.

Gibt es eine sinnvolle Alternative zum chemischen Recycling?

Das mechanische Recycling ist dem chemischen ökologisch und energetisch massiv überlegen. Man benötigt viel weniger Energie und es ist viel länger erprobt. Die Chemieindustrie behauptet auch, mechanisches Recycling habe Vorrang. Die Branche investiert aber so wenig, technologisch steckt es immer noch in den Kinderschuhen. Auch, weil es billiger ist, neues Plastik herzustellen, als fortschrittliches mechanisches Recycling zu betreiben. Und jetzt will die Industrie eben Milliarden in chemisches Recycling investieren. Das ist meine Kritik an der Chemiebranche.

Ist es nicht verständlich, dass die Branche dort investiert, wo sie einen Markt sieht?

Ich komme aus Hamburg, dort gibt es den Ansatz des ehrbaren Kaufmanns. Der kümmert sich um sein Produkt, nicht nur von der Produktion bis zur Nutzung, sondern auch in der Nachnutzung. Mein Dafürhalten ist, dass die Chemieindustrie Verantwortung übernehmen muss für die Stoffe, die sie auf den Markt bringt und sagt: Wir werden nicht einfach nur weiter große Chemieanlagen betreiben, sondern das Kapital, das wir als hochprofitable Unternehmen haben, in Technologien mit dem größten ökologischen Nutzen bei der Kreislaufführung investieren. Das tut sie aber nicht. Warum? Das meiste Kapital der Industrie ist in ihren großen Chemieparks gebunden. Diese Anlagen müssen laufen.

Würde eine funktionierende Kreislaufwirtschaft diese Profite gefährden?

Wir werden auch in Zukunft Kunststoffe benutzen. Das werden aber zunehmend recycelte Kunststoffe sein und solche, die nicht aus Erdöl gewonnen werden. Das sind die zwei Zukunftsfelder der Chemiebranche.

In denen spielen deutsche Unternehmen aber keine Rolle?

Jedenfalls nicht die, die sie spielen könnten. BASF ist der weltweit größte Chemiekonzern, in der deutschen Abfallwirtschaft aber kaum von Bedeutung. Das weltweit größte Unternehmen in diesem Feld ist die französische Veolia. Würden wir diesen Zukunftsmarkt anerkennen, könnten wir die Technologieführerschaft übernehmen. Ich erwarte, dass eine Industrie, die weiß, dass ihr Geschäftsmodell ans Ende kommt, sich neu aufstellt… weiterlesen

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