Rennstrecke statt Regenwald

Rennstrecke statt Regenwald
Foto: Angelo Giordano / Pixabay CC0

Kahlschlag für Formel 1 droht in Rio de Janeiro

Der Atlantische Regenwald ist nicht nur Brasiliens an Arten reichstes Ökosystem, sondern auch das bedrohteste. Bereits mehr als 90 Prozent der vor allem in Südostbrasilien und in den Küstengebirgen vorkommenden „Mata Atlântica“ sind unwiederbringlich vernichtet. Nun sollen in Rio de Janeiro rund 200 Hektar dieses Biodiversität-Hotspots für eine neue Formel-1-Rennstrecke zum Opfer fallen. Und deutsche Motorsport-Unternehmen sind an diesem Waldfrevel beteiligt.
 
Damit ab 2021 bis 2030 die Formel-1 und ab 2022 der Motorrad Grand Prix wieder in Rio de Janeiro ausgetragen werden, wollen Rio de Janeiros Bürgermeister Marcelo Crivella, Gouverneur Wilson Witzel und Brasiliens rechter Regierungschef Jair Bolsonaro einen der letzten Reste von intaktem Atlantischen Regenwald in Rio abholzen. 
 
Konkret geht es um den 200 Hektar großen Camboatá-Wald im Stadtteil Deodoro, der seit mehr als ein Hundert Jahren als militärisches Sperrgebiet unter Schutz steht. Seine 114 Hektar große Kernzone ist mit intaktem hochgewachsenem Regenwald bestanden, der Rest ist sich regenerierende Mata Atlântica. 
 
„Der Wald von Camboatá ist mit das letzte Gebiet vom Atlantischen Tieflandregenwald im Großraum von Rio“, erläutert Haroldo Lima von Rio de Janeiros renommiertem Botanischen Institut, das hier bereits 77 unterschiedliche und teilweise vom Aussterben bedrohte Baumarten der Mata Atlântica katalogisiert hat. So gut wie alle ebenen Flächen dieses in der Welt einzigartigen Regenwaldes wurden in den vergangenen Jahrzehnten Opfer der krebsartigen Ausbreitung der Metropole am Zuckerhut. Ohne dieses Waldgebiet, das wie ein Schwamm die tropischen Regenfälle aufnimmt und festhält, befürchtet Lima außerdem zunehmende Überschwemmungen und einen Anstieg der Temperaturen in den benachbarten Stadtteilen. 
 

Fotos: SOS Floresta do Camboatá

Doch nicht nur dies. Der Camboatá-Wald ist ebenso Zufluchtsort von einer Reihe von Vogel- und Reptilienarten wie der Königsboa. Und er ist wahrscheinlich das letzte städtische Brutgebiet des Breitschnauzen-Kaimans. 
 
Alljährlich mit den sommerlichen Regenfällen im Januar wandern zahlreiche Kaimane in das Gebiet, um sich hier zu paaren und ihre Hügelnester zu bauen. Es sei unglaublich, die Krokodile kommen über zwei längst zu offenen Abwasserkanälen verkommende Bäche aus anderen Teilen Rio de Janeiros hierher, berichtet ein Mitglied der lokalen Waldschutzbewegung „Movimento SOS Floresta do Camboatá“ und Anwohner.  Nur hier könnten sich die Kaimane im zersiedelten Rio de Janeiro ungestört fortpflanzen. Zwei bis drei Monate später wimmele es dann im Camboatá-Wald von frisch geschlüpften Kaimanen.
 
Foto: SoS Floresta do Camboatá
Gemeinsam mit rund einem Dutzend weiterer Umweltschutzgruppen wie SOS Mata Atlântica und Baia Viva stemmt  sich „Movimento SOS Floresta do Camboatá“ seit Monaten gegen den drohenden Kahlschlag. Auch Brasiliens ehemaliger Umweltminister Carlos Minc aus Rio de Janeiro ist gegen das Projekt: „Warum ein Rennstrecke in einem Gebiet mit 200.000 Bäumen und mehreren endemischen Arten bauen, wenn es in der Nähe vier alternative Flächen gibt?“ 
 
All dies scheint für Crivella, Witzel, Bolsonaro und die Chefs der Formel 1 sowie des Motorrad Grand Prix keine Rolle zu spielen. Sie wollen unbedingt den Deodoro-Ring bauen und den Großen Preis von Brasilien von Sao Paulo nach Rio zurückholen.
 
Betreiber und Konstrukteur der auf rund 200 Millionen Euro veranschlagten und etwa fünf Kilometer langen Rennstrecke mit einer geplanten Rundenzeit von einer Minute und 38 Sekunden ist „Rio Motorpark“. Das eigens zum Bau der Rennstrecke gegründete Unternehmen gehört zur in den USA registrierten Holding Rio Motorsports des Brasilianers José Antonio Soares Pereira Júnior, bekannt als JR Pereira. Mit im Boot sind das spanische Bauunternehmen Acciona, die Firma Tilke Engineers & Architekts des deutschen Rennstreckenarchitekten Hermann Tilke sowie die deutsche Sporttotal AG aus Köln. 
 
Bereits vergangenen Dezember hatte Gouverneur Witzel dem Formel-1-Unternehmen Liberty Media eine Steuerbefreiung von fast 100 Millionen Euro zur Realisierung der ersten beiden Rennen 2021 und 2022 genehmigt. Und das spanische Unternehmen Dorna Sports hatte zugesagt den Motorrad Grand Prix (MotoGP) ab 2022 und zumindest bis 2026 einmal Jährlich auf der neuen Rennstrecke stattfinden zu lassen. 
 
„Die Nachricht, dass wir mit der MotoGP™ einen ersten Wettbewerb für Rios neue Rennstrecke haben, der für 2022 bestätigt wurde, ist ein großer Fortschritt für unsere Stadt. Der Bau der Deodoro-Rennstrecke ist ein spektakuläres Projekt mit einer außergewöhnlichen Investition, die 7.000 Arbeitsplätze schafft und Rio wieder zur Führungsrolle bei wichtigen Wettbewerben macht“, frohlockte Bürgermeister Marcelo Crivella im vergangenen Jahr.
 
Foto: SOS Floresta do Camboatá
Projektkritiker allerdings bezeichnen diese von Crivella genannte hohe Arbeitsplatz-Anzahl als reine Fantasie. Außerdem gebe es im Stadtgebiet, das voll von ehemaligen, aufgegebenen Industrieflächen ist, mehrere alternative Orte für das Motorsportprojekt ohne auch nur einen Urwaldbaum fällen zu müssen.  Zudem hatte Rio bereits seit 1978 einen Fomel-1 tauglichen Parcours im Stadtteil Jacarepaguá, für den damals schon ein mit Mata Atlântica und Mangrovenwald bestandenes Naturschutzgebiet voll mit Kaimanen platt gemacht, entwässert und asphaltiert wurde. Von1981 bis 2004 fanden dort mehrere Formel 1-Rennen und Motorrad-Weltmeisterschaften statt. Doch 2008 beschloss die Stadtverwaltung Rio de Janeiros den Abriss dieser Rennstrecke für den Bau von Sportarenen der Olympiade 2016, die wiederum seitdem größtenteils ungenutzt im tropischen Klima verrotten.
 
Schon seit vergangenem Jahr stehen das Unternehmen „Rio Motorpark“ und sein Chef JR Pereira im übrigen unter Korruptionsverdacht. „Wir sind mit einem der größten Fälle von Korruption bei öffentlichen Ausschreibungen in der Stadt Rio de Janeiro konfrontiert“, zitiert die brasilianische Formel-1-Fanseite Manoel Peixinho, Professor für Verwaltungsrecht an der katholische Universität von Rio (PUC-Rio).
 
Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
 
 
 

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