Verkehrswende: Lockangebote fürs Umsteigen

Verkehrswende: Lockangebote fürs Umsteigen
Foto: Alexander Griffin/Pixabay CC/PublicDomain

Verkehrswende: Lockangebote fürs Umsteigen

zeit.de: Nie gab es in Deutschland mehr Autos als jetzt. Marburg und Frankfurt am Main belohnen ihre Bürger nun, wenn sie ihren Wagen abmelden. Funktioniert das?

Die Idee, den Bürgern Marburgs Geld anzubieten, damit sie auf ihr Auto verzichten, hatte Michael Kopatz ausgerechnet im Zug. Ein Mitarbeiter aus der Autobranche saß ihm gegenüber, die Bahn hatte Verspätung, man kam ins Gespräch. „Wie kommt es, dass ein Automann wie Sie Bahn fährt?“, habe Kopatz sein Gegenüber mit Blick auf dessen Bahncard 100 gefragt. Die Antwort: Wegen eines komplizierten Beinbruchs habe der Mann ein Jahr nicht autofahren können – also sei er auf die Bahn umgestiegen. Erst da habe der Mann gemerkt, wie viel Stress sein Arbeitsweg mit dem Auto bedeutet habe, wie viel effektiver er seine Zeit in der Bahn nun nutzen könne, wie es viele Vorteile habe, nicht Auto zu fahren. Wenn selbst jemand aus der Autobranche auf sein Auto verzichten kann, dann können das die Bürgerinnen und Bürger Marburgs auch, dachte Kopatz.

Der grüne Umweltdezernent der Stadt träumt schon lange von einer Stadt mit weniger Autos. Doch den Bürgern die Geschichte seiner Zugbegegnung zu erzählen, würde nicht reichen, damit sie ihr Auto stehen lassen, weiß Kopatz. Es brauche einen Anreiz – und den versucht er seit Juni mit Geld zu setzen.

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Locken will Kopatz die Bürger mit einem 800-Euro-Gutschein für das örtliche Carsharing oder einem Deutschlandticket für ein Jahr. Zusätzlich gibt es Gutscheine von Marburger Geschäften und Restaurants. Der Gesamtwert der Prämie beläuft sich auf 1.250 Euro. Um sie zu erhalten, muss man sein Auto abmelden und unterschreiben, dass man es ein Jahr lang nicht wieder anmelden wird. Im besten Fall merken die Menschen, so hofft Kopatz, dass sie es gar nicht brauchen und verkaufen es.

„Lächerliches Signal“

Viele Stadtregierungen träumen von der Verkehrswende. Über 49 Millionen Autos sind in Deutschland gemeldet – und jedes Jahr werden es mehr. Eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt: Der Trend geht zum Zweit- und Drittwagen; die Zahl der Pkw je Einwohner hat erneut einen Rekordwert erreicht. Gleichzeitig – so das Ergebnis der Studie Mobilität in Deutschland werden Autos durchschnittlich nur 45 Minuten am Tag gefahren. Den Rest der Zeit stehen sie auf Parkplätzen, am Straßenrand, vor allem: im Weg.

Nicht nur Michael Kopatz in Marburg versucht seine Bürger dazu zu bringen, ihr Auto abzuschaffen. Frankfurt am Main hat zum 1. Juli eine Umweltprämie eingeführt. Sie beträgt 588 Euro, das entspricht dem Wert des Deutschlandtickets für ein Jahr. Ob dabei das einzige Auto abgemeldet wird oder ob es der Zweit- oder Drittwagen ist, ist egal. Laufen soll das Projekt genauso wie in Marburg zunächst nur für ein Jahr. In Marburg ist die Prämie zunächst sogar nur auf 50 Menschen begrenzt. Wie viel Mehrwert können diese Anreize bringen?

„Das Signal, das mit solchen Prämien gesendet wird, ist lächerlich“, sagt der Verhaltensökonom Matthias Sutter. Er zweifle stark daran, dass ein geringer Geldbetrag, der nur einmal ausgezahlt wird, für viele Menschen attraktiv genug sei, um für immer auf die Bewegungsfreiheit des Autos zu verzichten. Wenn es nur darum ginge, sein Auto für ein Jahr stehenzulassen und dafür ein Deutschlandticket oder anderweitige Anreize zu bekommen, würde Sutter die Prämie als fairen Tausch einschätzen. Bei einer Abmeldung als Voraussetzung sei der Aufwand aber zu hoch und der individuelle Nutzen zu gering, sagt der Forscher. Wer dauerhafte Veränderung erzielen möchte, müsse auch dauerhaft einen attraktiven Anreiz schaffen.

Bisher nur wenige Anträge in Frankfurt

Ähnlich schätzt der Verkehrsexperte Michael Müller-Görnert vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD) die Projekte in Marburg und Frankfurt am Main ein: „Diese Prämien bringen den Städten vor allem Publicity, aber keine maßgebliche Veränderung.“ Vor allem spreche man die Menschen an, die eine intrinsische Motivation mitbrächten, also schon darüber nachgedacht haben, ihren Wagen abzugeben. Beispielsweise, weil sie sich nicht mehr fit genug für den Straßenverkehr fühlten oder das zweite oder dritte Auto nicht mehr bräuchten. Mitnahmeeffekt nennt Müller-Görnert das. „Aber die Hardcoreautofans kriegt man damit nicht.“

Das scheint sich bei einer ersten Zwischenbilanz der Projekte zumindest teilweise zu bewahrheiten. Laut Frankfurts grünem Umweltdezernent Wolfgang Siefert gab es im ersten Monat zwei Bestellungen für das Umweltticket „und zahlreiche interessierte Anfragen“. Begründet sieht Siefert das überschaubare Ergebnis damit, dass sich die Prämie erst herumsprechen müsse und die Abmeldung des Autos und die Bestellung des Deutschlandtickets Zeit brauche.

In Marburg dagegen sei die Nachfrage „super“, sagt der dortige Umweltdezernent Michael Kopatz. Die ersten 50 Menschen hätten schon fast alle einen Antrag auf die Prämie eingereicht, jetzt wolle man Geld für 50 weitere bereitstellen. Gemeldet hätten sich nicht nur Rentner und Menschen, die ihr Zweitauto abgegeben wollen, sondern auch junge Menschen – und auch solche, die außerhalb der Stadt wohnten. „Carsharing ist bei uns das Entscheidende. Die Marburger können immer noch Auto fahren“, sagt Kopatz… weiterlesen

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