Vernichtende Bilanz für UN-Nachhaltigkeitsziele
Vernichtende Bilanz für UN-Nachhaltigkeitsziele
focus.de: Mit dem größten Beratungsmarathon ihrer Geschichte legten die Vereinten Nationen im Jahr 2015 ihre insgesamt 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ fest. Eine Studie zeigt jetzt: Nicht nur hatte die Nachhaltigkeits-Strategie der UN kaum Wirkung – in manchen Bereichen verschlimmert sie die Lage sogar noch. Was genau ist schiefgelaufen?
Eigentlich ist es ein Wunder, dass dieses Paket jemals verabschiedet wurde. Drei Jahre lang brüteten Vertreter der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) zusammen mit Experten und Nichtregierungsorganisationen über die Ziele für die neue „Agenda 2030“, dem ambitioniertesten UN-Programm überhaupt. Doch nach dem größten Verhandlungsmarathon ihrer Geschichte mit Tausenden Beteiligten hatte es die UN geschafft: Im September 2015 verabschiedete die Vollversammlung in New York insgesamt 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“, abgekürzt auch SDGs genannt (englisch: „Sustainable Development Goals“).
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Die Mission: Die Welt soll im Jahr 2030 nicht nur nachhaltiger und gesünder leben – sondern auch Wohlstand für alle geschaffen haben. Zu den 17 Zielen gehören unter anderem „Armut beenden“ (SDG Nummer 1), „Wasser und Sanitärversorgung für alle“ (Nummer 6), „Nachhaltiger Konsum“ (Nummer 12) und „Bekämpfung des Klimawandels“ (Nummer 13). Alle UN-Mitgliedsstaaten verpflichteten sich, die „Agenda 2030“ in nationale Politik zu übersetzen. Selbst der Iran stellte Ende 2016 eine neue Bildungsinitiative vor, in Übereinstimmung mit Ziel Nummer 4 („Bildung für alle“) – ein Aufschrei der religiösen Hardliner im Land war die Folge.
„Wir sehen keine Belege“
Doch eine neue Studie zeigt jetzt: Knapp sieben Jahre nach der Geburt der „Agenda 2030“ ist die Welt ihren ambitionierten Zielen kaum näher gekommen. Es gebe wenig Hinweise darauf, dass die SDGs zum Kampf gegen Klimawandel, Artensterben oder Ungleichheit beigetragen hätten, heißt es in der Untersuchung der Universität Utrecht (Niederlande), die am Montag in der Fachzeitschrift „Nature Sustainability“ erschienen ist.
Die sogenannte Meta-Studie hat mehr als 3000 andere Untersuchungen zur Agenda 2030 ausgewertet, um ihre Wirkung nachvollziehen zu können. Das Ergebnis ist ernüchternd. „Wir sehen keine Belege dafür, dass Finanzmittel zugunsten nachhaltiger Entwicklung umverteilt worden wären, oder dass dank der SDGs neue oder ambitioniertere Gesetze eingeführt worden wären, oder dass die Politik stringenter geworden wäre“, sagt Frank Biermann, deutscher Professor für „Global Sustainability Governance“ an der Universität Utrecht und Hauptautor der Studie. „Und die Änderungen, die wir sehen, sind oft Ergebnisse von Prozessen, die lange vor der Agenda 2030 gestartet worden waren.“
Eigentümliche Interpretationen
Dabei waren die 17 Ziele im Rahmen der Agenda 2030 mit jeder Menge Optimismus an den Start gegangen. Immerhin haben es Staaten, Behörden, Städte, Experten und Verbände aus aller Welt geschafft, sich auf einen gemeinsamen Fahrplan zu einigen. Was also ist schiefgegangen?
Die Studie verweist vor allem auf zwei Ursachen. Einerseits widersprechen sich manche der 17 Ziele womöglich gegenseitig. SDG Nummer 8 etwa fordert unter anderem „dauerhaftes Wirtschaftswachstum“ und „produktive Vollbeschäftigung“ – ist das noch kompatibel mit dem Ziel, die Umwelt zu schützen? Viele Länder könnten hier gezwungen sein, sich zu entscheiden.
Und zum anderen ist der politische Prozess, um die vage formulierten Ziele in konkrete Politik auf nationaler Ebene zu übersetzen, außerordentlich komplex. Wie diese „konkrete Politik“ dann aussehen soll, ist ohnehin Auslegungssache. „Wir beobachten, dass viele Regierungen die SDGs für ihre eigenen Zwecke nutzen, indem sie auf eigentümliche Weise interpretiert oder selektiv implementiert werden“, sagt Assistenzprofessorin Marjanneke Vijge, eine Mitautorin der Untersuchung… weiterlesen