VW auf der Anklagebank

VW auf der Anklagebank
Foto: Thiago Japyassu /Unsplah

VW auf der Anklagebank

Brasilianische Tochter des Autobauers muss sich für »sklavenähnliche« Verhältnisse verantworten

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Der Einstieg des Volkswagen-Konzerns in die Rinderzucht in Amazonien während der brasilianischen Militärdiktatur war von Anfang an ein Skandal. 2.200 Kilometer vom Firmensitz in São Paulo entfernt hatte das Tochterunternehmen des deutschen Autobauers, VW do Brasil, 1973 spottbillig 139.392 Hektar Land im südlichen Amazonasgebiet aufgekauft und kassierte dafür auch noch satte Subventionen in Höhe von umgerechnet mehreren Millionen Euro von der Militärregierung. Um Platz für 110.000 Rinder zu schaffen, startete der Konzern in der Folge ein »Kettensägenmassaker«, das seinesgleichen suchte. Bis Mitte 1981 vernichtete VW do Brasil rund 33.000 Hektar Urwald.

Nun sitzt Volkswagen wegen seiner ehemaligen Rinderfarm »Companhia Vale do Rio Cristalino« auf der Anklagebank. Der Konzern habe in den 1970er und 1980er Jahren Hunderte von Angestellten unter »sklavenähnlichen« Verhältnissen schuften lassen, so die Vorwürfe der brasilianischen Staatsanwaltschaft. Zudem soll es zu Misshandlungen und Vergewaltigungen auf der VW-Farm gekommen sein. VW do Brasil ist nun für den 14. Juni zu einer Anhörung vor dem Arbeitsgericht in Brasília geladen. Der ehemalige Manager der Farm, der heute 84 Jahre alte Schweizer Agronom Friedrich Brügger, weist jede Schuld von sich. Die Verantwortung sei Sache der Arbeitsvermittler gewesen, äußerte er sich vergangene Woche gegenüber dem NDR. »Wenn 1.000 Männer auf einem Haufen sind, liegt es auf der Hand, dass es da nicht immer ganz zart zugeht.« Dass Leiharbeiter verschuldet waren, das sei durchaus vorgekommen. Doch sie seien daran selbst schuld gewesen, wenn sie zuviel auf der Farm konsumiert hätten.

Der zuständige Staatsanwalt Rafael Garcia Rodrigues stellte in einer Mitteilung vom 30. Mai indes klar: »Das Leben der Arbeiter lag in den Händen derer, die sie beschäftigten.« Laut Augenzeugenaussagen seien die Angestellten mit Waffengewalt auf der Farm festgehalten worden. Wer zu fliehen versuchte, wurde erschossen oder an Bäume gefesselt, tagelang geschlagen und anderweitig gefoltert. Rodrigues wies auch darauf hin, dass die Menschen ohne Einhaltung der Mindeststandards für Hygiene, Gesundheit und Sicherheit auf der abgelegenen Rinderfarm arbeiten mussten. Laut Berichten von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung habe der VW-Vorstand in Wolfsburg von den Vorfällen gewusst.

Seit 2019 ermittelt der Staatsanwalt gegen den VW-Konzern, basierend auf einer detaillierten Dokumentation der »Forschungsgruppe über Sklavenarbeit« der Bundesuniversität von Rio de Janeiro. Deren Koordinator, Ricardo Rezende Figueira, hatte den Konzern bereits in den 1980er Jahren wegen der sozialen Missstände und Menschenrechtsverletzungen auf seiner Rinderfarm – damals vergeblich – angeklagt. Der mit mehreren Preisen für seinen Kampf für die Menschenrechte ausgezeichnete Priester und Humanwissenschaftler koordinierte in den 1970er und 1980er Jahren die katholische Landpastorale in der Region Araguaia im Bundesstaat Pará, wo sich die VW-Rinderfarm befand. Ehemalige Angestellte berichteten ihm schon damals von den unzumutbaren Zuständen und Menschenrechtsverletzungen. Seine damaligen Anklagen wurden jedoch von den Untersuchungsbehörden jahrzehntelang ignoriert.

Die ersten Berichte über Sklavenarbeit auf der VW-Farm, mit schätzungsweise 600 bis 1.000 Arbeitern, bekam er über die Gewerkschaft der Landarbeiter von Araguaia, erinnerte sich Figueira am 31. Mai in einem Interview mit der Tageszeitung O Globo. 1983 sei drei jungen Arbeitern dann die Flucht gelungen. »Sie haben schreckliche Dinge erzählt. Menschen wurden verprügelt, vergewaltigt und ermordet«, so Figueira. In der vom VW-Konzern selbst veröffentlichten historischen Studie »VW do Brasil in der brasilianischen Militärdiktatur 1964–1985« wird die Verantwortung auf private Arbeitsvermittler abgewälzt. Diese »Gatos« seien bewaffnet gewesen und hätten »die Erfüllung der Arbeitsverträge nicht selten mit bewaffneten Wächtern« erzwungen.

1987 verkaufte VW die »Companhia Vale do Rio Cristalino« – nach offizieller Darstellung sei die negative Berichterstattung dafür nur zweitrangig gewesen. Tatsächlich verzeichnete die VW-Tochter seit 1980 Verluste: Der ursprüngliche Zweck der Rinderfarm als Steuersparmodell hatte sich so schlicht erledigt.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Die Erstveröffentlichung erfolgte in „junge Welt“ vom 07.06.22

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