Warum wir jetzt die Molekülwende brauchen

Warum wir jetzt die Molekülwende brauchen
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Warum wir jetzt die Molekülwende brauchen

manager-magazin.de: Die Energiewende wird oft nur als Stromwende verstanden – doch Strom deckt nur 20 Prozent unseres Energiebedarfs. Flüssige und gasförmige Energieträger bleiben unverzichtbar, ob im Verkehr oder in der Industrie  ebenso wie Grundstoffe für die chemische Produktion. Um fossile Rohstoffe zu ersetzen, müssen diese Moleküle klimaneutral hergestellt werden. Die Zeit drängt. Ohne Molekülwende kann es keine umfassende und erfolgreiche Energiewende geben, denn auch künftig werden wir flüssige und gasförmige Energieträger und Rohstoffe brauchen. Wir zeigen, warum die Molekülwende unverzichtbar ist, welche Lösungen es gibt– und wo die Herausforderungen liegen.

Warum CO₂-neutrale Moleküle für die Energiewende entscheidend sind

In den vergangenen Jahren kam die Stromwende vergleichsweise gut voran: Mit einem Anteil von 56 Prozent stammte der im Jahr 2023 erzeugte und ins Netz eingespeiste Strom nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mehrheitlich aus erneuerbaren Energieträgern. Diese Erfolgsgeschichte ist erfreulich, hat jedoch einen Schwachpunkt: Strom deckt derzeit lediglich gut 20 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland ab. Den großen Rest tragen Moleküle zur Kraft- und Brennstoffversorgung bei, also feste, flüssige und gasförmige Energieträger. Ein Großteil davon wird noch aus fossilen Rohstoffen gewonnen. Dabei spielt hierzulande Mineralöl die wichtigste Rolle. In den anderen EU-Ländern sieht es zum Teil sehr ähnlich aus. EU-weit dominieren Moleküle den Energieverbrauch mit durchschnittlich mehr als 75 Prozent.

Zwar liegt es auf der Hand, dass eine verstärkte Elektrifizierung und der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung künftig einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten kann und wird. Das betrifft zum Beispiel den zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen in Gebäuden und elektrischer Antriebe in der Mobilität oder die Umstellung auf strombasierte Prozesse im verarbeitenden Gewerbe. Doch wir sehen auch in Ländern, die Deutschland diesbezüglich in der Entwicklung schon deutlich voraus sind, wie etwa Schweden, dass dort noch immer weit über 60 Prozent des Energiebedarfs durch Moleküle gedeckt werden. Das zeigt, dass neben der Stromwende hin zu „grünen Elektronen“ auch die Moleküle CO2-neutral werden müssen, also Produkte, die heute noch aus Erdgas oder Mineralöl gewonnen werden. Auch diese Kraft- udn Brennstoffe müssen künftig CO2-neutral hergestellt und nutzbar sein, um die Klimaziele zu erreichen. Darüber hinaus brauchen wir auch CO₂-neutrale Kohlenwasserstoffe für die stoffliche Nutzung wie insbesondere in der Chemieindustrie.

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Die Stromwende allein reicht also nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Zusätzlich ist eine Molekülwende erforderlich und das bedeutet: Kohlenstoffarm und CO₂-neutral hergestellter Wasserstoff sowie synthetische und nachhaltige biogene und Energieträger und Produkte müssen verstärkt in den Fokus der Politik rücken. Solche alternativen Moleküle stehen dabei nicht in Konkurrenz zum Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung und einer sinnvollen Elektrifizierung. Es geht vielmehr darum, ergänzend fossile Energieträger und Rohstoffe dort zu ersetzen, wo rein elektrische Antriebe oder Prozesse technisch an ihre Grenzen stoßen oder wirtschaftlich nicht sinnvoll sind. Darüber hinaus werden gerade flüssige Energieträger wegen ihrer Flexibilität auch zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit auch im Krisenfall benötigt.

Nicht nur Flugzeuge und Schiffe brachen klimaschonende Treibstoffe

Luftfahrt und Schifffahrt sind Verkehrsbereiche, die größtenteils auch künftig für flüssige oder gasförmige Energieträger prädestiniert sind. Hier zeigt sich auch die globale Dimension der Herausforderungen. Es ist nicht absehbar, dass Flugzeuge für die Mittel­ und Langstrecke oder große Container­ und Passagierschiffe batterieelektrisch betrieben werden. Das gilt auch für Landwirtschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Militär: Landmaschinen, Lösch­ und Bergungsfahrzeuge oder auch Notstromaggregate werden weiterhin flexible und speicherbare Energieträger benötigen. Energiereiche Moleküle werden darüber hinaus für den großen Bestand an Fahrzeugen und Heizungen gebraucht. Trotz fortschreitender Elektrifizierung wird es 2030 bundesweit voraussichtlich noch mehr als 40 Millionen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor und auch weiterhin mehrere Millionen Heizungen für flüssige oder gasförmige Brennstoffe geben. Auch dort sind Klimaschutzoptionen notwendig.

Zudem sind einfach transport- und speicherfähige flüssige Energieträger für eine resiliente und möglichst flexible Energieversorgung zur Vermeidung von Engpässen und Abhängigkeiten in Krisensituationen enorm wichtig. Mit Elektronen ist zum Beispiel eine nationale Energiereserve im Umfang von 90 Verbrauchstagen, wie sie heute das deutsche Erdölbevorratungsgesetz für Rohöl und Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin verpflichtend vorsieht, nicht realisierbar. Darüber hinaus bleibt die stoffliche Nutzung von Molekülen – insbesondere Kohlenwasserstoffen für die chemische Industrie und weitere Industriezweige langfristig unverzichtbar. Sie werden als Einsatzstoffe für die Herstellung einer Vielzahl von Produkten bzw. Vorprodukten benötigt. Wichtige chemische Einsatzstoffe sind beispielsweise Naphtha, Ethylen oder Flüssiggas, die u. a. für die Erzeugung von Kunst­, Schaum­ und Dämmstoffen benötigt werden. Aber auch hochwertiger Schmierstoffe z. B. für Windkraftanlagen oder Elektromotoren bis hin zu Bitumen für den Straßenbau oder für die Abdichtung von Gebäuden werden bislang vor allem aus Erdöl hergestellt und müssen mittel- bis langfristig CO₂-neutral zur Verfügung stehen.

Es ist absehbar, dass, trotz zunehmender Elektrifizierung – gerade im Straßenverkehr und Gebäudesektor – auch über 2045, dem Zieljahr der Klimaneutralität für Deutschland, hinaus noch mehr als 40 Prozent des heutigen Absatzes von Raffinerieprodukten in Form von Molekülen benötigt werden. Es könnten auch mehr als 50 Prozent sein, wenn der Umstieg auf E-Antriebe und Wärmepumpen nicht im politisch angestrebten Umfang erfolgt. Das bedeutet in jedem Fall, dass auch langfristig CO2-neutrale Moleküle in sehr großen Mengen benötigt werden.

CO2-neutrale Moleküle: Importe sind von großer Bedeutung

Doch wie und wo können diese Mengen in Zukunft produziert werden? Klar ist: Die Molekülwende darf nicht allein auf Wasserstoff reduziert werden. Um alle Sektoren zu defossilisieren, muss jedoch auch Kohlenstoff als notwendiges chemisches Element für die zukünftig noch benötigten Kohlenwasserstoffe zunehmend aus nachhaltigen Quellen gewonnen werden… weiterlesen

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