Wie ehrliche Selbstkritik Nachhaltigkeit voranbringt

Wie ehrliche Selbstkritik Nachhaltigkeit voranbringt
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während der globale CO₂-Ausstoß weiter steigt und die soziale Ungleichheit zunimmt, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ökologische Verantwortung mit wirtschaftlichem Erfolg zu vereinen. Besonders die energieintensive IT-Infrastrukturbranche muss sich neu erfinden – zwischen digitaler Transformation und ökologischer Verantwortung. Die Prior1 GmbH, ein mittelständischer Spezialist für Rechenzentren und Serverräume, demonstriert mit ihrer dritten Gemeinwohl-Bilanz, wie dieser Spagat gelingen kann. Ihr aktueller Bericht liefert dabei eine überraschende Erkenntnis: Nachhaltiges Wirtschaften erfordert mitunter den Mut, schlechtere Zahlen zu präsentieren.
Während sich viele Unternehmen mit Nachhaltigkeitsversprechen und grünen Erfolgsbilanzen überbieten, geht der Rechenzentrumsspezialist aus Sankt Augustin einen anderen Weg. In seiner aktuellen Gemeinwohl-Bilanz hat Prior1 384 Punkte erreicht – ein geringerer Wert als in der vorherigen Bewertung – und macht genau dies zum Ausgangspunkt einer bemerkenswerten Transformation. „Was auf den ersten Blick wie ein Rückschritt wirkt, zeigt uns, dass Nachhaltigkeit keine einfache Checkliste ist“, erklärt Geschäftsführer Stefan Maier. Diese ungewöhnliche Transparenz wirft ein Schlaglicht auf eine zentrale Frage der Nachhaltigkeitsdebatte: Wie ehrlich müssen Unternehmen bei der Bewertung ihrer Fortschritte sein?
Von Schwächen lernen: Der Wert ehrlicher Selbstreflexion
Die Gründe für den Punktverlust sind vielschichtig und offenbaren, wie komplex nachhaltige Unternehmensführung tatsächlich ist. „Wir haben uns kritisch hinterfragt, alte Gewissheiten losgelassen und mutig auf Schwächen geschaut, erläutert Anja Zschäck, Teamkoordinatorin für Marketing und Personal. Diese vertiefte Analyse führte zu einer präziseren und teilweise kritischeren Bewertung verschiedener Unternehmensaspekte.
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Besonders deutlich wird dies im Bereich der Lieferkette. Während das Unternehmen einen Lieferantenkodex etabliert hat, musste es erkennen, dass die Durchsetzung und Überprüfung noch Lücken aufweist. „Im Berichtszeitraum wurde dieser Prozess nicht durchgängig umgesetzt. Hier sind Optimierungsmaßnahmen in der Entwicklung“, heißt es selbstkritisch im Bericht. Die Herausforderung liegt dabei besonders in der Komplexität moderner Lieferketten: „Uns fehlt aktuell noch in vielen Bereichen ein tiefgehender Einblick in die gesamte Lieferkette“, gibt das Unternehmen offen zu.
Eine detaillierte Analyse der Bewertungskriterien zeigt, wo die größten Veränderungen stattfanden. In den Bereichen „Solidarität und Gerechtigkeit“ sowie „Ökologische Nachhaltigkeit“ in der Zulieferkette wurden die eigenen Anstrengungen kritischer bewertet als zuvor. Auch im Bereich „Transparenz und Mitentscheidung“ identifizierte das Unternehmen Verbesserungspotenzial.
Energiewende im Serverraum: Innovative Antworten auf die Klimakrise
Die Position von Prior1 ist besonders interessant, da das Unternehmen in einem Sektor tätig ist, der für seinen hohen Energieverbrauch bekannt ist. Rechenzentren gehören zu den größten Energieverbrauchern in der digitalen Wirtschaft. Das Unternehmen steht damit vor der fundamentalen Herausforderung, die wachsende Nachfrage nach Digitalisierung mit Klimaschutzzielen in Einklang zu bringen.
„Wir sind uns der existenziellen Bedrohung von Umwelt und Gesellschaft durch den Klimawandel bewusst“, heißt es im Gemeinwohl-Bericht. Als Antwort darauf hat Prior1 konkrete Selbstverpflichtungen entwickelt: Seit knapp zwei Jahren bietet das Unternehmen in allen seinen Projekten ausschließlich Anlagen mit natürlichen Kältemitteln wie Wasser und Propan für die Klimatisierung von IT-Komponenten an – ausgenommen sind dabei Altangebote und Erweiterungen bestehender Anlagen mit funktionsfähiger Technik. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung: 2022 investierte das Unternehmen rund 100.000 EUR in die Entwicklung einer eigenen, umweltfreundlichen Kühlanlage auf Wasserbasis für Serverschränke.
Der technologische Innovationsansatz zeigt sich auch in der Beratung zu energieeffizienten Kühlmethoden. Je nach Projekt und Möglichkeiten empfiehlt Prior1 seinen Kunden verschiedene Lösungen:
- Adiabatische Kühlung (Verdunstungskühlung)
- Direkte oder indirekte freie Kühlung
- Absorptionskälteanlagen
- Geothermie
- Individuelle Konzepte zur Abwärmenutzung
Zur Optimierung des Energieverbrauchs kommt das Serviceprodukt „Prior1 360“ zum Einsatz. Das System ermöglicht nicht nur die frühzeitige Erkennung von drohenden Reparaturen, sondern trägt auch zur Ressourcenschonung bei: Defekte Anlagenteile können identifiziert werden, bevor ein Techniker vor Ort ist. Das vermeidet unnötige Anfahrten und verlängert die Lebensdauer der Gesamtanlagen.
Von der Hierarchie zur Selbstorganisation: Eine Kultur im Wandel
Die technischen Innovationen sind aber nur ein Teil der Transformationsstrategie. Prior1 hat sich auf den Weg zu einer selbstführenden Organisationsform gemacht, bei der Mitarbeitende bei nahezu allen Entscheidungen Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht haben sollen. Diese kulturelle Transformation, intern „NextLand“ genannt, wurde 2020 gestartet. Ziel ist es, geleitet von der Unternehmensvision, mehr Transparenz, verteilte Autorität, mehr Mitgestaltung, evolutionäres Lernen und mehr Autonomie in der Zusammenarbeit zu erreichen. Hierbei spielt die Wertschätzung eine entscheidende Rolle. Die Transformation zeigt sich in konkreten Maßnahmen:
• Neue Gewinnverteilungsregeln: Überschüsse werden bei Erreichung bestimmter Schwellen zu gleichen Teilen an alle Mitarbeitenden verteilt
• Vertrauensarbeitszeit und flexible Homeoffice-Regelungen
• Eigenverantwortliche Entscheidungen bei Ausgaben bis 800 Euro
• Regelmäßige Niederlassungsgespräche zur Förderung des Austauschs
• Umfassendes Gesundheitsmanagement mit dem Programm „Wie geht’s Dir?“, einer Initiative für mentale Gesundheit
Nachhaltige Mobilität: Mit System zum Ziel
Im Bereich Mobilität setzt das Unternehmen Maßstäbe: Der Fuhrpark wird sukzessive auf E-Antrieb umgestellt. Seit 2024 ist die Beschaffung fossil betriebener PKWs komplett eingestellt, die Beschaffung von Gebrauchtwagen ist seit 2023 verbindlich. Bereits heute besteht die Hälfte der PKW-Flotte des Unternehmens aus rein elektrisch angetriebenen Fahrzeugen, die mit Öko-Strom geladen werden. Das Mobilitätskonzept geht dabei weit über die Fahrzeugwahl hinaus:
• Anreize zur Verlagerung von Fahrten auf die Bahn
• Installation von Wallboxen am Wohnort der Mitarbeitenden
• Jobräder
• Flugreisen nur ausnahmsweise (in den letzten fünf Jahren eine Reise mit zwei Personen)
• Vollständige CO₂-Kompensation aller nicht vermeidbaren Emissionen
Zahlen, die überzeugen: Nachhaltigkeit messbar gemacht

Prior1 zeigt eindrucksvoll, wie Transparenz in der Kommunikation von Leistungskennzahlen aussehen kann. Die Mitarbeiterzufriedenheit ist dabei ein besonders aussagekräftiger Indikator: Eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von 56,1 Monaten, ein Kununu-Score von 4,8 und eine Weiterempfehlungsrate von 100 Prozent sprechen für sich.
Konkrete Erfolge zeigen sich auch im Umweltbereich: 2022 kompensierte das Unternehmen 79,55 Tonnen CO₂. Die Kompensation erfolgt über ein Social Business namens (B)energy, das Haushalte in Afrika mit kleinen Biogasanlagen versorgt, wofür das Unternehmen 3.680 EUR investierte. Zusätzlich werden Emissionen über das Gold Standard Projekt Portfolio der DKV in Zusammenarbeit mit der myclimate Deutschland gGmbH kompensiert.
Besonders beeindruckend sind die Zukunftsinvestitionen: 134.000 EUR flossen in Produktentwicklung, davon 45.000 EUR in IT Container Edge und der Rest in die Entwicklung eines Seitenkühlers und einer Kältemaschine. Weitere 45.840 EUR wurden für Mitarbeiterentwicklung aufgewendet, darunter 14.850 EUR für Trainingsangebote zur gewaltfreien Kommunikation, 22.930 EUR für kooperative Führung und 8.060 EUR für digitale Zusammenarbeit. Bei der Planung und Umsetzung des Produktionsstandorts Weitefeld wurde explizit auf den ökologischen Fußabdruck geachtet: Eine innovative Eisspeicher-Anlage sorgt für umweltfreundliche Heiz- und Kühltechnik des Gebäudes, die Photovoltaikanlage wurde erweitert und Wallboxen für Elektrofahrzeuge installiert.
Die Investitionen in die Mitarbeiterentwicklung zeigen sich auch in der aktiven Teilnahme an Nachhaltigkeitsinitiativen: Zwei Mitarbeitende sind in Normungsgremien aktiv, einer ist Mitglied des Expertengremiums zur Erarbeitung der Vergabegrundlage des Blauen Engels für energiebewussten Rechenzentrumsbetrieb unter Leitung des Umweltbundesamtes.
Fairer Anteil: Wenn Gewinne allen zugutekommen
Ein besonders innovativer Aspekt der Unternehmenskultur zeigt sich in den 2022 neu etablierten Regeln zur Gewinnverteilung. Ziel ist ein dauerhaft bestehender Finanzsockel von mindestens einem Zwölftel der Jahresaufwendungen. Gewinne werden bei Überschreitung dieser Sicherheitsreserve und bis zu einem Betrag von 200.000 Euro an alle Mitarbeitenden zu gleichen Teilen verteilt. Teilzeitarbeitskräfte erhalten den Anteil entsprechend ihrer prozentualen Arbeitszeit. An der Ausschüttung wird beteiligt, wer zum Abrechnungszeitraum mindestens sechs Monate im Unternehmen ist. Diese transparente und faire Regelung unterstreicht den partizipativen Ansatz des Unternehmens.
Transformation braucht Ehrlichkeit: Was andere Unternehmen lernen können
Der Fall Prior1 zeigt exemplarisch, dass echte Nachhaltigkeit ein kontinuierlicher Lernprozess ist, der Mut zur Selbstkritik erfordert. „In einer Welt voller sozialer Ungerechtigkeiten, alarmierender ökologischer Entwicklungen und um sich greifendem Populismus glauben wir, dass gemeinwohlorientiertes Wirtschaften der richtige Weg ist“, bekräftigt die Geschäftsführung.
Die niedrigere Punktzahl in der aktuellen Gemeinwohl-Bilanz bedeutet dabei nicht, dass das Unternehmen weniger nachhaltig geworden ist – im Gegenteil. Sie zeigt vielmehr, dass Prior1 genauer hinschaut und höhere Maßstäbe an sich selbst anlegt. Das Unternehmen setzt damit ein wichtiges Zeichen: Echte Transformation braucht ehrliche Analyse und den Mut, auch Rückschläge und Verbesserungspotenziale offen zu kommunizieren.
Der Weg ist das Ziel: Die nächsten Schritte
Für die kommende Periode hat Prior1 bereits konkrete Verbesserungsziele definiert:
• Optimierung der Prozesse zur Abfrage und Durchsetzung des Lieferantenkodex
• Erstellung einer Einkaufsrichtlinie für den innerbetrieblichen Einkauf
• Wechsel zu nachhaltigen Kreditinstituten für Fahrzeugfinanzierung
• Schaffung von Anreizen für Ökostrom im Homeoffice
• Erhöhung der Transparenz durch Bereitstellung von betriebswirtschaftlichen Daten für alle Mitarbeitenden
Prior1 macht deutlich: Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein fortwährender Prozess der Verbesserung – und manchmal bedeutet ein Schritt zurück in der Bewertung zwei Schritte nach vorn in der Entwicklung. „Diese Gemeinwohl-Bilanz markiert für uns keinen Abschluss, sondern einen weiteren Meilenstein auf unserem Weg“, fasst Geschäftsführer Maier zusammen. Diese Haltung könnte wegweisend sein für andere Unternehmen, die sich ernsthaft mit ihrer Nachhaltigkeitstransformation auseinandersetzen wollen.
Gabriela Mair

Die Gemeinwohl-Bilanz
von Prior1
steht hier zum
kostenlosen Download
bereit.
Über Prior1
Die Prior1 GmbH ist der Experte bei allen Fragen rund um ein betriebssicheres und effizientes Rechenzentrum, unabhängig von Branchen oder Unternehmensgröße. Das 80 MitarbeiterInnen starke, inhabergeführte Unternehmen mit Hauptsitz in Sankt Augustin sowie weiteren Niederlassungen in Berlin, Karlsruhe, München und Weitefeld hat sich nicht nur auf die Planung, den Bau, die Wartung und die Ausstattung von Rechenzentren und Serverräumen spezialisiert. Vielmehr ist es auch die erste Wahl, wenn es um Betriebsoptimierungen und Strategien bezüglich Outsourcing und Colocation geht.
Netzwerkplanungen und -verkabelung, Zertifizierungen wie Blauer Engel oder verschiedene Workshops zu Energieeffizienzanalysen oder umfassender RZ-Check gehören ebenso in das Aufgabengebiet. Parallel dazu leistet das eigene Montage- und Serviceteam seinen Beitrag zum ausfallsicheren Betrieb der IT-Infrastruktur. Dank der jahrzehntelangen Erfahrung werden so passgenaue Lösungen für den physikalischen IT-Schutz ermittelt. Die Errichtung des Rechenzentrums als schlüsselfertige Umsetzung erfolgt als Generalunternehmer oder Bauherrenvertreter unter anderem für Raum-in-Raum-Systeme, Container, IT-Safe, Klimatisierung und Brandschutz. Konform der Unternehmensmission „Prior1 strebt nach unternehmerischer Freiheit durch nachhaltiges und menschliches Wirtschaften!“ nimmt neben höchster Qualität in Umsetzung und Service auch der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt einen hohen Stellenwert ein.