Auch das 1,5 Grad Ziel kann Kipppunkte wohl nicht verhindern

Auch das 1,5 Grad Ziel kann Kipppunkte wohl nicht verhindern
Foto: Unplash

Auch das 1,5 Grad Ziel kann Kipppunkte wohl nicht verhindern

Das im Pariser Klimavertrag gesteckte Ziel, die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad Celsius und vorzugsweise 1,5 Grad zu begrenzen, reicht offenbar nicht aus, um das Überschreiten von Klima-Kipppunkten zu verhindern. Das ist das Ergebnis einer umfassenden neuen Untersuchung, die im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht wurde. Selbst beim derzeitigen Stand der globalen Erwärmung besteht bereits die Gefahr, dass im Erdsystem fünf gefährliche Klima-Kipppunkte überschritten werden – und die Risiken steigen mit jedem Zehntelgrad weiterer Erwärmung.

Ein internationales Forscherteam hat die Belege für die Kipppunkte, ihre Temperaturschwellen, Zeitskalen und Auswirkungen, aus einer umfassenden Analyse von mehr als 200 Studien zusammengefasst, die seit 2008 veröffentlicht wurden, als die Kipppunkte des Klimas erstmals genau definiert wurden. Fünf der sechzehn Kipppunkte könnten bei den durch die globale Erwärmung schon heute erreichten Temperaturen ausgelöst werden: das grönländische und das westantarktische Eisschild, ein weit verbreitetes abruptes Auftauen der Permafrostböden, der Zusammenbruch der Konvektion in der Labradorsee, und das massive Absterben der tropischen Korallenriffe. Vier dieser fünf Ereignisse werden bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C von zunächst nur möglichen zu dann wahrscheinlichen Ereignissen und fünf weitere werden bei einem Erwärmungsniveau von 1,5°C möglich.

Weltkarte der Kippelemente – mit den für das Kippen relevanten Werten der globalen Erwärmung. Grafik: Biermann/PIK, auf Grundlage von Armstrong McKay (2022, Science)

„Wir sehen bereits Anzeichen für eine Destabilisierung in Teilen der westantarktischen und grönländischen Eisschilde, in Permafrostgebieten, im Amazonas-Regenwald und möglicherweise auch in der atlantischen Umwälzzirkulation,“ erklärt der Hauptautor David Armstrong McKay vom Stockholm Resilience Centre, der Universität Exeter und der Earth Commission. „Die Welt ist bereits von einigen Kipppunkten bedroht. Wenn die globalen Temperaturen weiter ansteigen, werden weitere Kipppunkte möglich. Die Wahrscheinlichkeit des Überschreitens von Kipppunkten kann durch ein rasches Senken der Treibhausgasemissionen verringert werden, und zwar ab sofort.“

Diese neue Analyse deutet darauf hin, dass die Erde bereits einen ’sicheren‘ Klimazustand verlassen haben könnte, wenn die Temperaturen eine Erwärmung von etwa 1°C überschreiten. Der Bewertung zufolge steigt die Wahrscheinlichkeit eines Kipppunkts von 1,5 bis 2°C Erwärmung deutlich an, mit noch höheren Risiken jenseits von 2°C. Um eine 50-prozentige Chance zu haben, 1,5 °C zu erreichen und damit das Risiko von Kipppunkten zu begrenzen, müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030, also schon in 8 Jahren, um die Hälfte reduziert werden, um bis 2050 netto Null zu erreichen.

Johan Rockström, einer der Autoren der Analyse, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Ko-Vorsitzender der Earth Commission: „Die Welt steuert auf eine globale Erwärmung von 2-3°C zu. Damit ist die Erde geradewegs auf Kurs, mehrere gefährliche Schwellenwerte zu überschreiten, die für die Menschen auf der ganzen Welt katastrophale Folgen haben würden. Um gute Lebensbedingungen auf der Erde zu erhalten, die Menschen vor zunehmenden Extremen zu schützen und stabile Gesellschaften zu ermöglichen, müssen wir alles tun, um das Überschreiten von Kipppunkten zu verhindern. Jedes Zehntelgrad zählt.“

Das internationale Team hat Daten aus der Klimavergangenheit der Erde, aus aktuellen Beobachtungen und aus den Ergebnissen von Klimamodellen untersucht. Dabei kamen die Forschenden zu dem Schluss, dass 16 wichtige biophysikalische Systeme, die an der Regulierung des Erdklimas beteiligt sind (so genannte „Kipp-Elemente“), das Potenzial haben, Kipppunkte zu überschreiten, bei denen sich die Veränderungen dann von selbst fortsetzen. Das heißt, sogar wenn die Temperatur nicht weiter anstiege, würde ein Eisschild, ein Ozean oder ein Regenwald, sobald er einen Kipppunkt überschritten hat, immer weiter in einen neuen Zustand steuern. Wie lange der Übergang dauert, variiert je nach System zwischen Jahrzehnten und Tausenden von Jahren. So können sich beispielsweise Ökosysteme und atmosphärische Zirkulationsmuster schnell verändern, während der Zusammenbruch von Eisschilden langsamer vonstatten geht, aber zu einem unvermeidlichen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter führt. (Quelle: PIK)

Weblink zur Studie: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abn7950

hjo

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