Die Welt schlafwandelt in die Katastrophe

Die Welt schlafwandelt in die Katastrophe
Foto: Pixabay CC/PublicDomain

Die Welt schlafwandelt in die Katastrophe

spiegel.de: Diese Woche erschien ein Artikel renommierter Fachleute, die rund um den Globus arbeiten. Die Botschaft: Wir rasen ungebremst in die Klimaapokalypse. »Milton« und »Helene« illustrierten das erneut. Und die Reaktion?

Der Einstieg der wissenschaftlichen Fachpublikation , die wieder einmal für ein seltsam verhaltenes Medienecho sorgte, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

»Wir stehen kurz vor einer irreversiblen Klimakatastrophe. Dies ist zweifellos ein globaler Notfall. Ein Großteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein.«

Die Autorinnen und Autoren gehören zu den renommiertesten Fachleuten ihrer jeweiligen Forschungsgebiete (aus Deutschland ist Stefan Rahmstorf 

dabei), sie arbeiten in Australien und der Schweiz, Dänemark und China, Brasilien und Großbritannien – die meisten aber kommen aus den USA, (dem Land, in dem ein Teil der Bevölkerung jetzt zu glauben beginnt, dass die Demokraten Hurrikane zu Wahlkampfzwecken manipulieren ).

25 von 35 Parametern im roten Bereich

So wie das obige Zitat klingen Texte in Fachzeitschriften normalerweise nicht, aber das, was auf den folgenden Seiten an aktuellen Forschungserkenntnissen knapp zusammengefasst ist, zeigt sehr deutlich: Dieser Einstieg ist nicht übertrieben.

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Der Artikel enthält eine Liste mit nachweislich durch die Klimakrise verstärkten Extremwetterkatastrophen mit vielen Todesopfern und gigantischen Milliardenschäden, die sich allein in den letzten 12 Monaten ereignet haben – von Mexiko bis Bangladesch, von Brasilien bis Saudi-Arabien, von den USA bis nach Griechenland. Die verheerenden Überschwemmungen im September in Österreich, Tschechien, Deutschland, Ungarn, Polen, Rumänien und der Slowakei schafften es nicht einmal mehr auf die Liste.

Das Konsortium beobachtet 35 »planetare Vitalparameter« wie Entwaldung, Eisschmelze, Luft- und Wassertemperaturen, Tage mit Extremhitze, durch Waldbrände zerstörte Flächen oder den Säuregehalt der Ozeane, – aber auch die menschlichen Beiträge zur Katastrophe wie fossile Subventionen, CO₂-, Methan und Lachgas-Ausstoß, oder den Fleischkonsum pro Kopf (er steigt immer noch). Von diesen 35 Vitalparametern haben 25 »neue Rekordniveaus erreicht«, so die Autoren, einige davon »in historischem, enormem Ausmaß«.

Irreversible Veränderungen des Erdsystems

In 28 Bereichen existieren physikalische oder biologisch bedingte Feedbackschleifen, die sich selbst verstärken. Einige davon sind sogenannte Kippelemente, die, wenn ein bestimmter Punkt überschritten ist, irreversible Veränderungen des Erdsystems zur Folge haben werden. »Der Klimawandel könnte ab einem bestimmten Punkt zum Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung beitragen«, konstatieren die Autorinnen und Autoren nüchtern.

Dass der Bericht keineswegs übertreibt, sollte eigentlich spätestens nach den bisherigen Extremwetterkatastrophen des Jahres 2024 auch jedem halbwegs wachen Nachrichtenkonsumenten klar sein. Doch selbst die Tatsache, dass binnen zwei Wochen gleich zwei katastrophale Hurrikane Florida – und, im Fall von »Helene«, sieben weitere US-Staaten – verwüstet haben, scheint derzeit vielerorts nur noch ein Schulterzucken hervorzurufen. Dabei stoßen die Ressourcen zur Reaktion auf solche Katastrophen selbst in den USA, dem reichsten Land der Welt, schon jetzt an ihre Grenzen. Und all das ist immer noch erst der Anfang. Die Klimaforschung zeigt, dass die Erderhitzung die Intensität von Hurrikans potenziell erhöht.

Die Welt schlafwandelt in die Katastrophe hinein. Und nicht einmal die wenigen wirklich guten Nachrichten dringen zu den Menschen durch.

Woran liegt das?

In den USA ist mehr als ein Drittel der Bevölkerung derartig in Stammesdenken gefangen, dass nahezu jede Desinformation auf fruchtbaren Boden fällt, selbst grotesker Unsinn wie Weltraumlaser, mit denen Hurrikane gesteuert werden. Aber bei uns ist das ja eigentlich anders.

Ein Blick nach Deutschland, in die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt also, schafft zwar Aufklärung über die Mechanismen, liefert aber trotzdem keine wirkliche Erklärung für die Verblendung.

Welches Thema beschäftigt die Bundesrepublik derzeit am meisten? Migration. Dabei ist die Zahl der Asylanträge im Vergleich zum Vorjahr drastisch zurückgegangen . Die Zahl der Gewalttaten ist in den vergangenen Jahren, nach vielen Jahren des Rückgangs, wieder etwas gestiegen – etwa auf das Niveau von 2007 . Richtig ist: Die eskalierende Klimakatastrophe wird irgendwann Flüchtlingsbewegungen auslösen, gegen die sich die von heute wie Rinnsale ausnehmen.

Und dennoch ist – innerhalb von etwa 20 Monaten – die Angst vor Migration zum politischen Aufregerthema Nummer eins in Deutschland aufgestiegen. Bis Anfang 2023 lag die Anzahl der Menschen, die den Themenkomplex »Ausländer, Migration, Flüchtlinge« für das »wichtigste Problem in Deutschland« hielten immer irgendwo zwischen neun und elf Prozent . Am 27. September 2024 waren es 42 Prozent. So ein Anstieg hat nichts mit realweltlichen Erfahrungen zu tun – sondern mit medial hergestellter Vorstellung von Realität.

Der Themenkomplex »Klima, Energie, Versorgung« stürzte im gleichen Zeitraum ab: von 44 auf derzeit 17 Prozent.

Klimawandelleugnerpartei AfD

Diese Entwicklung erklärt sich primär dadurch, dass alle – vor allem die Union, mittlerweile aber sogar die Ampelparteien – in den migrationsängstlichen Chorus der Klimawandelleugnerpartei AfD eingestimmt haben. Tatkräftig unterstützt von Talkshows und Berichterstattung. Und umgekehrt aufgrund der gnadenlosen Kampagne von »Bild« und Co. gegen Wärmepumpen, E-Autos, erneuerbare Energien.

Es gibt in Deutschland die – auch in der Politik – weitverbreitete Hypothese, dass Politik und Medien das abbilden, was »die Menschen da draußen« so denken und fühlen. Dass das nicht stimmt, wird in Politik- und Kommunikationswissenschaft schon seit den Sechzigerjahren diskutiert und ist empirisch klar belegt: Politik und Medien betreiben »Agenda-Setting«. Sie beeinflussen demnach nicht notwendigerweise, was Menschen zu einzelnen Fragen so für Ansichten haben – aber sie können sehr wohl beeinflussen, worüber die Leute so nachdenken und sprechen… weiterlesen

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