Neue Regeln für den globalen Handel

Neue Regeln für den globalen Handel
Grafik: pixabayCC/PublicDomain

Neue Regeln für den globalen Handel

zeit.de: Erst Corona, dann der Angriffskrieg auf die Ukraine: Die bisherige Globalisierung war politisch naiv. Eine neue Handelspolitik muss demokratische Werte berücksichtigen.

Erst die Corona-Pandemie, die zu gestörten Lieferketten im globalen Handel führte, dann der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine – und die Sanktionen des Westens gegen Russland: Die jüngsten Krisen zeigen, wie volatil die Handelspolitik der Globalisierung ist. Wie könnte es anders gehen? Ist die Globalisierung gescheitert? Keineswegs, meint der Ökonom Gustav A. Horn. Entscheidend ist, dass die Handelspolitik den Werten der freiheitlichen Demokratie folgt.

Die Globalisierung, wie wir sie bisher kennen, ist tot. Spätestens seit dem Beginn des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine ist klar, dass die Idee eines global unbegrenzten Handelsaustauschs gescheitert ist. Besonders schmerzhaft ist die Erkenntnis, dass Handel und Frieden keine Geschwister sind. Autokraten stellen ihre potenziell kriegerischen Machtansprüche über den freien Austausch von Waren und Gütern. Freier Handel ist ihnen nur so lange genehm, wie er der eigenen Machterhaltung dient.

Was heißt dies für die Zukunft des Welthandels? Man sollte sich zunächst nicht täuschen. Die jüngsten Schläge gegen den Welthandel haben nicht dessen wechselseitige Vorteilhaftigkeit außer Kraft gesetzt. David Ricardos Theorie der komparativen Vorteile des Handels gilt weiter, auch wenn diese nicht mehr genutzt werden. Das zeigt beispielhaft der Energiehandel mit Russland: Es ist für uns derzeit wesentlich günstiger, Gas und Öl aus Russland zu importieren als aus anderen Ländern oder es gar selbst zu erzeugen. Aber es ist auch für Russland günstiger, hochwertige Industriegüter aus Deutschland zu importieren als sie selbst zu herzustellen. Durch die nun geltenden Sanktionen aber gehen diese wechselseitigen Vorteile verloren – und das nicht nur im Handel zwischen Deutschland und Russland, sondern auch für andere Volkswirtschaften. Handelsbeschränkungen machen ärmer.

Lesen Sie auch:

Die russische Aggression wie auch die Corona-Pandemie haben die hohe Verletzlichkeit global eng verflochtener Volkswirtschaften aufgezeigt. Wenn die Sicherheit des Handels erhöht werden soll, stellt sich die Herausforderung, die Handelsbeziehungen global neu zu definieren. Das Ergebnis sollte eine neue Präferenzordnung für Handelspartner sein, die sich nicht mehr allein an der kurzfristigen Profitabilität des Austauschs orientiert. Vielmehr sollte die staatliche und die gesellschaftliche Verfasstheit der Handelspartner ebenfalls eine maßgebliche Rolle spielen. Handelspolitik sollte in Zukunft wertebasiert sein. Die zugrundeliegenden Werte sollten denen liberaler und sozialer Demokratien entsprechen – freilich in unterschiedlicher Ausprägung. Dann würde anstelle des grenzenlosen Offshorings das von der US-amerikanischen Finanzministerin Janet Yellen sogenannte friend-shoring treten, womit sie die Verlagerung von Produktion in werteverwandte Volkswirtschaften meint. Ziel ist es, am Ende den Handel sicherer und – gemessen an den geteilten Werten – fairer zu machen.  

Ein sicherer und fairer Welthandel wäre möglich

Mit diesem Blick auf die Handelsbeziehungen ergibt sich eine Rangfolge gewünschter Handelsverflechtungen, die man grundsätzlich grob in drei Kategorien teilen kann. Da sind zunächst die präferierten Handelspartner, die eine enge Wertegemeinschaft in geografischer Nähe bilden sollten. In diese Kategorie fallen alle Mitglieder der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums. Zwischen diesen Volkswirtschaften sollten keine Handelshemmnisse bestehen. Darüber hinaus sollten sie eine Arbeitsteilung vereinbaren, wie sie in Krisenzeiten unter Ausnutzung der geografischen Nähe ihre Widerstandsfähigkeit (Resilienz) wechselseitig stärken können. Die gegenwärtige Krise um die Gasversorgung macht diese Notwendigkeit ebenso deutlich wie die Lieferkettenprobleme im Nachklang der Corona-Pandemie. 

Die zweite Kategorie kann man als enge Handelspartner bezeichnen. Auch mit ihnen sollte eine gemeinsame politische Wertebasis bestehen, und der Handel sollte auf möglichst wenige Hindernisse treffen. Hierzu könnte man die USA, Japan oder auch die Türkei zu zählen. Allerdings wären diese Volkswirtschaften, zumindest nicht in systematischer Weise, Teil der ökonomischen Resilienzvorsorge. Das kann mit objektiven Hindernissen wie fehlender geografischer Nähe begründet sein (USA, Japan). Es kann jedoch auch mit Zweifeln an der politischen Stabilität mit Blick auf die gemeinsame Wertebasis verbunden sein (Türkei). 

Die dritte Kategorie könnte man als funktionale Handelspartner bezeichnen. Handel findet mit diesen – wie bisher – allein wegen dessen Rentabilität statt. Eine gemeinsame Wertebasis ist jedoch nicht notwendigerweise gegeben. Daher sind diese Handelsströme in Zukunft mit wesentlicher größerer Vorsicht zu behandeln. Wenn die politischen Systeme in diesen Ländern ins Aggressive degenerieren, gerät schließlich der Handel in Gefahr zur Waffe gegen unsere Werte zu werden… weiterlesen 

Gustav A. Horn

Der Wirtschaftswissenschaftler Gustav A. Horn leitete von 2005 bis 2019 als wissenschaftlicher Direktor das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.