Plötzlich ist Deutschland Strom-Importmeister

Plötzlich ist Deutschland Strom-Importmeister
focus.de: Das Ende der Kohle-Ära: Deutschlands Strom ist so sauber wie nie – gleichzeitig erreichen die Strom-Importe aus dem Ausland neue Höchststände. Doch dass muss nichts Schlimmes sein, wie neue Daten zeigen. Was die Strombilanz für 2024 sonst noch verrät.
Spätestens seit Mitte Dezember ist der Stand der deutschen Energiewende wieder in aller Munde. Dank einer sogenannten Dunkelflaute lieferten Windkraft- und Solaranlagen in Deutschland circa einen Tag lang fast keinen Strom. Kohlekraftwerke sprangen in die Bresche, große Mengen Strom wurden importiert , die Preise an den Strombörsen schossen vorübergehend in die Höhe.
Das Kontrastprogramm bot sich am jetzigen Neujahrstag: Dort deckten die Erneuerbaren Energien mehr als 100 Prozent des deutschen Strombedarfs. Sonniges Wetter, ergänzt von einer stabilen Windkraft-Ausbeute und einem feiertagsbedingt niedrigeren Stromverbrauch machten den komplett grünen deutschen Energie-Tag möglich.
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Was jetzt also – Dunkelflaute oder grünes Strom-Wunder? Wie steht es um das deutsche Stromsystem? Ein Blick auf einzelne Tage ist nur wenig hilfreich, wie die beiden Beispiele zeigen. Stattdessen hilft die langfristige Perspektive, gerade zu Beginn eines Jahres. Am Donnerstag veröffentlichte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) seine aktuellen Daten zum abgelaufenen Stromjahr 2024. Das ISE betreibt die Statistik-Plattform „Energy-Charts“ , die viele Branchenvertreter mittlerweile in ihrer Arbeit nutzen. Die wichtigsten Trends im Überblick:
1. Deutschlands Strom wird immer sauberer
Ein Trend aus den letzten Jahren setzte sich auch 2024 fort: Der Anteil Erneuerbarer Energien am Strommix steigt und steigt. Wind und Solar knöpfen den fossilen Energieträgern immer mehr Marktanteile ab. Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der gesamten Stromerzeugung in Deutschland stieg von 54,7 Prozent im Jahr 2023 auf 58,6 Prozent im Jahr 2024 – die 60-Prozent-Marke liegt also in Reichweite. Alleine der Eigenverbrauch aus heimischen Solaranlagen, die aufs Dach oder auf den Balkon geschraubt wurden , betrug im abgelaufenen Jahr bereits 12,4 Terawattstunden (Twh).
Das Wachstum bei Wind und Solar geht vor allem zu Lasten eines Energieträgers: Der Kohle. Die Energieerzeugung aus Braun- und Steinkohle sank noch einmal um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr, im industriellen Eigenverbrauch ist die Verstromung von Steinkohle sogar auf null zurückgegangen. Insgesamt wurde in Deutschland so wenig Kohle zur Stromerzeugung genutzt wie zuletzt im Jahr 1957.
Die Gründe dafür sind vor allem wirtschaftlicher Natur. Bereits seit Jahren sind die Erneuerbaren Energien die günstigste Form der Energieerzeugung, während bei der Kohle die Erzeugungspreise immer weiter steigen – auch durch den CO2-Preis auf klimaschädliche Energieträger. Dadurch verschwindet die Kohle in atemberaubend schnellem Tempo aus dem Markt. Zwar erzeugt Deutschland immer noch 23 Prozent seines Stroms aus der Kohle, doch vor zehn Jahren lag der Anteil noch bei knapp 50 Prozent.
Fürs Klima bedeutet das: Deutschlands Stromerzeugung ist so sauber wie noch nie. Allein seit 2014 haben sich die Emissionen aus der Stromerzeugung halbiert – von 312 auf circa 152 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
2. Unser Strom wird wieder günstiger
Hat die Energiewende zur Kostenexplosion geführt? Nein – zumindest wenn man das vorige Jahr betrachtet. Trotz kürzerer Dunkelflauten in November und Dezember lag der durchschnittliche sogenannte „Day Ahead“-Preis in diesem Jahr an der europäischen Strombörse bei 78,01 Euro pro Megawattstunde. Das sind stolze 15,5 Prozent weniger als noch 2023.
Das ist vor allem insofern bemerkenswert, als dass der deutsche Stromverbrauch gleichzeitig leicht gestiegen ist – die Nachfrage war also wieder höher. Prinzipiell hat der Ausbau der Erneuerbaren Energien jedoch preissenkende Wirkung, weil Wind und Solar die günstigsten Energieträger sind. Auch 2024 zeigen die Daten: Je mehr Erneuerbare Energien im System sind, desto günstiger ist der Strom.
Die Hauptursache für den fallenden Preis war aber eine andere, sagt Bruno Burger, Energie-Experte vom Fraunhofer ISE, der die Daten zusammengetragen hat. Der Strompreis in Deutschland ist einerseits an die europäischen Nachbarländer geknüpft – je höher der deutsche Preis, desto mehr wird importiert statt hierzulande erzeugt.
Und: Die Preise am Strommarkt folgen der sogenannten „Merit Order“. Der teuerste Produzent, der gerade Strom für den Markt erzeugt, bestimmt dessen Preis für alle Marktteilnehmer. Meist fällt diese Rolle derzeit den Gaskraftwerken zu. „Der Gaspreis fiel von 2023 nach 2024 auch um 15,5 Prozent“, sagt Burger – also genau um die Marge, um die auch der Strompreis abgenommen hat.
Das Jahr 2024 markierte auch einen neuen Höchstwert an Stunden mit negativem Börsenpreis. So werden diejenigen Stunden genannt, in denen so viel grüne Energie im System war, dass die Käufer sogar noch Geld bekommen haben. Der Markt agiert im Bereich der Erneuerbaren Energien also noch nicht perfekt. Noch braucht es bessere Infrastruktur, etwa in Form von Batteriespeichern und zusätzlichen Leitungen.
Zu beachten ist außerdem: Der Preis an der Börse hat mit dem Preis, den Stromverbraucherinnen und -verbraucher bezahlen, nur wenig zu tun. Dort spielen Steuern und Gebühren eine wesentliche Rolle. Und: Vor der Corona-Krise, der Inflation und der russischen Invasion der Ukraine lagen die Day-Ahead-Preise zuletzt bei 36,64 Euro pro Megawattstunde – also weniger als der Hälfte… weiterlesen