Trampeln, Fressen, Kacken

Trampeln, Fressen, Kacken
Foto: WWF/Sergio Pitamitz/_Parco Natura Viv

Trampeln, Fressen, Kacken

steadyhq.com: Wir besitzen eine Wunderwaffe gegen die Klimakrise, die bislang völlig unterschätzt wird. Wie Klimaschutz neben Windrädern und Solarpanels noch aussehen kann.

Ich habe nie geglaubt, dass Kühe lila sind, und doch muss ich zugeben: Das meiste, was ich über die Tierwelt weiß, kommt nicht aus eigenen Erfahrungen. Mein Wissen wurde mir vor allem über irgendwelche Bücher und Bildschirme zugetragen (ein Glück habe ich der Fernsehwerbung von Milka nie getraut).

Umso krasser war es für mich, als ich mich diesen Sommer endlich mal von den Netflix-Dokus losriss, mich durch den Berliner Betondschungel kämpfte und rausfuhr, raus aus der Stadt und in die Natur. Ich wollte Wisente sehen. Wi… bitte?

Meine Bildschirme hatten mir verraten, dass Wisente Europas größte Säugetiere sind, eine Rinderart, die vor hundert Jahren von uns Menschen fast ausgerottet wurde. Heute sind Wisente auf dem besten Weg, wieder einen stabilen Bestand zu erreichen.

Aber wie ist es, den Tieren in freier Wildbahn zu begegnen? Welche Geräusche machen sie? Wie bewegt sich ihr Fell, wenn sie davontraben? Das konnten mir meine Bildschirme nicht verraten. Ein Besuch im Naturschutzgebiet Döberitzer Heide, wo eine Herde von hundert Wisenten lebt, vielleicht schon. Also fuhr ich hin.

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Beim Wisent-Projekt in der Döberitzer Heide geht es vor allem um Artenschutz, um das Retten einer einzelnen Tierart. Dachte ich zumindest. Aber mein Ausflug zeigte mir, dass am Überleben von Wisenten noch so viel mehr hängt.

Und mir wurde etwas Mutmachendes klar: Wir Menschen besitzen im Kampf gegen die Klimakrise eine Wunderwaffe. Ein Ass im Ärmel, das nicht nur mit Wisenten zu tun hat.

Klimaschutz mit Fell und Flossen

Unsere Wunderwaffe (ich verrate gleich, worin genau sie besteht) zählt zu den sogenannten „natürlichen Klimalösungen“, im englischen Fachsprech „natural climate solutions“ oder „nature-based solutions“ (NBS) genannt.

Solche NBS sind quasi die unverzichtbare Ergänzung zu technologischen Lösungen wie Solar- und Windkraft. Denn höchste Priorität hat – durch Energie-, Agrar-, Verkehrswende und Co. – Emissionen aus fossilen Energien und Landnutzung auf Null zu bringen.

Für 1,5 Grad brauchen wir aber auch reichlich negative Emissionen. Und hier kommen NBS ins Spiel. Sie zielen darauf ab, intakte Ökosysteme zu bewahren oder wiederherzustellen. Wälder aufforsten, Grasland schützen, Moore wiedervernässen: All das bindet Unmengen an CO₂ – und die Natur wird gleich mit geschützt. Zwei planetare Megakrisen mit einer Klappe, sozusagen.

In der To-Do-Liste des IPCC zur Rettung des Planeten sind NBS ganz oben mit dabei. Der IPCC zählt sie zu den Top 5 der effektivsten Klimaschutz-Strategien. Daneben haben verschiedene Studien das Potenzial von NBS quantifiziert (einen Überblick gibt’s in diesem Report (Öffnet in neuem Fenster) des UNEP und IUCN in Kapitel 3.2).

Das Ergebnis: Sie könnten rund 30 Prozent zur globalen CO₂-Einsparung beitragen, die bis 2030 für die Einhaltung von 1,5 Grad nötig ist. 

Pflanzen, Böden… und das war’s?

Und hier kommt das Aber. Der Weltklimarat (IPCC), die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN), der Weltbiodiversitätsrat (IPBES): Alle Institutionen von Bedeutung pochen in ihren Berichten zwar auf naturbasierte Klimalösungen. Sie reden dabei aber vor allem davon, sich Pflanzen und Böden zunutze zu machen. Über unsere Wunderwaffe schweigen sie sich aus.

Fast nirgendwo wird die Bedeutung von Tieren thematisiert – dabei sind sie unser Ass im Ärmel bei der Bekämpfung der Klimakrise. Es geht um ganz bestimmte wildlebende Tiere, sogenannte Schlüsselarten. Das sind Arten, die für das Gleichgewicht von Ökosystemen unerlässliche Funktionen erfüllen – und die einen besonderen Effekt auf den Kohlenstoffkreislauf haben.

Auch wenn ihre Rolle bislang ziemlich unterschätzt wird, gibt es einige Studien, die diesen Effekt bemessen (frei zugänglich zum Beispiel hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster)). Erst vor kurzem haben Forscher*innen rund um Yale-Professor Oswald Schmitz ein Paper in Nature Climate Change (Öffnet in neuem Fenster) veröffentlicht. Darin beleuchten sie neun Schlüsselarten und kommen zu einem bemerkenswerten Schluss.

Allein diese neun Arten und Artengruppen zu schützen oder wieder dort auszuwildern, wo sie einst heimisch waren, hätte einen riesigen Effekt: Damit würden jährlich fast 6,5 Milliarden Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre gezogen.

6,5 Milliarden Tonnen negative Emissionen: Laut Schmitz würde das alleine schon für einen 1,5-Grad-konformen Pfad ausreichen… weiterlesen

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