Unsere Alt-Kleidung vermüllt die Welt

Unsere Alt-Kleidung vermüllt die Welt
Foto: noonpost

Unsere Alt-Kleidung vermüllt die Welt

zeit.de: Von Adidas bis Zara: Große Modemarken schmücken sich mit Recyclingversprechen – und doch quillt der Fluss Nairobi in Kenia mit unserem Textilmüll über. Wie kann das sein?

Der Nairobi River hat ein Flussbett aus Stoff. Meterhoch türmen sich bunte Textilien an der Böschung in der Hauptstadt Kenias. In rot, blau, grün, braun und schwarz verstopfen sie das Flussbett, bedecken die Flussinseln und Steine, hängen in den Bäumen. Der Fluss mäandert durch die Kleiderberge, rauscht über dreckige Stoffe, nimmt hin und wieder einen Klumpen mit. Am Ufer laufen Menschen auf den Kleidern umher, ziehen einzelne Stücke heraus. Sie sammeln die T-Shirts und Jeans, Blusen und Jacken von H&M, Levi’s oder Adidas, sie waschen oder färben sie in Fässern auf offenem Feuer, um sie weiterzuverkaufen. Oder suchen nach Materialien wie Baumwolle, die sich zu Kissenfüllungen oder Wischmopps weiterverarbeiten lassen.  

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Oben auf der Böschung stehen Verkaufsstände aus Wellblech und Holz. Denn der Nairobi River fließt an dieser Stelle durch den Gikomba-Markt, Kenias größtem Markt für Secondhandkleidung. Hunderte Händlerinnen und Händler bieten hier ausrangierte oder überproduzierte Kleidung vor allem aus Europa, Nordamerika und China an. Wenn sie gute Ware bekommen, kann das ein profitables Geschäft sein. Doch wird die Ware immer schlechter: Die Sachen sind zunehmend kaputt, verdreckt, von billigster Qualität. Inzwischen sind 30 bis 50 Prozent unverkäuflich. Das sind gut 200 Tonnen Textilien pro Tag. Weil sie unverkäuflich sind, landen sie auf dem Boden, an Siedlungsgrenzen – und hier im Fluss.

Alle Kleider landen im selben Strom

„An diesem Fluss kann man kaum atmen: Es stinkt nach schwelendem Plastik, Holzkohle und verbrannten Textilien – bei 32 Grad im Schatten. So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt Greenpeace-Textilexpertin Viola Wohlgemuth im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Dabei hat sie schon oft schlechte Zustände in asiatischen Textilfabriken gesehen. Nun ist sie der Spur der Altkleider nach Kenia und Tansania gefolgt und hat Fotos, Filme und den Bericht From Donations to the Dumpsites mitgebracht, der ZEIT ONLINE vorab vorliegt.

„Wir entledigen uns unserer kurz getragenen oder überproduzierten Klamotten, indem wir sie in die Länder Afrikas verschiffen. Doch das sind zunehmend falsch deklarierte Müllexporte – in Länder, wo es keine geregelte Müllentsorgung gibt“, sagt Wohlgemuth. Eine weltumspannende Industrie hat sich um die Altkleider herum aufgebaut, von hiesigen Sammlern und Exporteuren über Sortierbetriebe in Pakistan bis hin zu Umschlagplätzen in Saudi-Arabien. Egal in welche Altkleidersammelstelle in Deutschland man seine Kleidung gibt, am Ende landen die Stücke im selben Sortierstrom. „Nirgendwo wird das Versagen von Fast Fashion deutlicher als am Nairobi River“, sagt Wohlgemuth.

Nur die Ölindustrie ist schmutziger

Wirtschaftlich ist Fast Fashion ein Erfolgsrezept der Textilindustrie: Dem Tempo der schnell wechselnden Trends folgend, werfen die Modefirmen ständig neue, billige Kleidung auf den Markt: Einen gerippter Body im Leopardenmuster gibt es bei H&M für 9,99 Euro, im Outlet-Store von adidas ist die Ware der letzten Saison um bis zu 50 Prozent reduziert. Seit der Jahrtausendwende hat sich der Kleidungskonsum mehr als verdoppelt – wir kaufen mehr als doppelt so viele Teile –, die Tragedauer hat sich laut einer McKinsey-Studie von 2016 gleichzeitig halbiert. Doch die ökologischen und sozialen Kosten sind so gewaltig, dass die Textilindustrie als zweitschmutzigster Wirtschaftszweig gilt – direkt nach der Ölindustrie. Rund zehn Prozent der globalen Klimagase gehen auf ihr Konto. Außerdem verbraucht sie Unmengen an Pestiziden und verschmutzt rare Wasserressourcen im globalen Süden.

Die Industrie reagiert auf die wachsende Kritik und wirbt zunehmend mit Recyclinginitiativen und spricht von Kreislaufwirtschaft. Auf der Website von H&M ruft das Unternehmen gleich neben den Sonderangeboten zu mehr Nachhaltigkeit auf: Lasst uns versuchen, nicht mehr getragene Kleidung weltweit noch effizienter zu sammeln und zu recyceln, heißt es da. Auch der Sporthersteller Nike wirbt damit, gebrauchte Sportschuhe und -bekleidung zu recyceln und zu spenden. Doch der Schein trügt: Nur ein Prozent der Kleidung wird derzeit wirklich recycelt. Und statt Kleidung wirklich zu recyceln und daraus neue herzustellen oder das Geschäft mit der schnellen Mode gar zu entschleunigen, wächst es immer weiter: Um 2,7 Prozent jährlich bis zur Mitte des Jahrzehnts, prognostiziert ein McKinsey-Report

Altkleiderhandel ist ein wichtiger Teil der kenianischen Wirtschaft

Mit dem Bericht lenkt Greenpeace den Blick nun auf das Müllproblem, das am Ende dieses linearen Fast-Fashion-Geschäftsmodells entsteht. Denn der schnelle Konsum verursacht Berge an Textilmüll: Weltweit wird eine Lkw-Ladung Textilmüll pro Sekunde verbrannt oder deponiert, hat die Ellen MacArthur Foundation errechnet. Wenig überraschend, dass der globale Handel mit Secondhandkleidung rasch zulegt: Der Marktwert hat sich seit 2012 auf 36 Milliarden Dollar mehr als verdreifacht. Deutschland ist nach den USA, China und Großbritannien der viertgrößte Exporteur. Und Kenia der drittgrößte Importeur Afrikas… weiterlesen

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