Ausbeutung im Amazonas

Ausbeutung im Amazonas
Screenshot: Video Weltspiegel

Ausbeutung im Amazonas

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Brasiliens Indigene sind wachsender Zahl illegaler Goldsucher schutzlos ausgeliefert

Während am Sonnabend Zehntausende Menschen in Brasilien gegen den ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro wegen seiner desaströsen Coronapolitik demonstriert haben, spielt sich in der Amazonasregion eine weitere Katastrophe ab. Brasiliens indigene Völker, deren Lebensraum der Regenwald ist, zahlen die Zeche dafür, dass Gold traditionell als inflationssichere Ersatzwährung gilt und das insbesondere in Krisenzeiten wie der jetzigen Pandemie. So hat sich der Preis des Edelmetalls seit 2005 von 11.544 Euro je Kilogramm auf den Rekordwert von 49.800 Euro im vergangenen Jahr mehr als vervierfacht.

Foto: Eleanor K. Russell / Survival International

Vor allem in der Reservation der Yanomami im Norden des Bundesstaats Amazonas an der Grenze zu Venezuela reißen immer mehr illegale Goldsucher immer größere Schneisen, unter anderem für Landepisten in den Regenwald. Satellitenbilder und Luftaufnahmen zeigen, dass die Goldgräberei in diesem Jahr deutlich zugelegt hat. Allein im ersten Quartal dieses Jahres wurden 200 Hektar Regenwald verwüstet, so die vom Hutukara-Yanomami-Verband in Auftrag gegebene Auswertung der Aufnahmen. Seit Beginn dieser dritten Invasion von Goldsuchern seit 1980 in das 1992 demarkierte Schutzgebiet der Yanomami und der Ye’kwana in den Bundesstaaten Roraima und Amazonas vor rund zehn Jahren habe der illegale Bergbau damit insgesamt 2.600 Hektar Wald vernichtet. Die rund 28.000 Ureinwohner stünden heute einem Heer von etwa 20.000 Goldgräbern gegenüber, ohne ausreichenden Schutz durch die staatlichen Sicherheitsbehörden, beklagt Hutukara.

„Die Studie zeigt, dass der illegale Bergbau im Yanomami-Reservat weiter zunimmt“, erklärte Hutukara-Sprecher Dário Kopenawa. Er befürchtet eine weitere Eskalation und ein Massaker wie zuletzt 1993, als 22 brasilianische Goldgräber und sogenannte Pistoleiros das Yanomami-Dorf Haximu auf der venezolanischen Seite des Stammesgebiets überfielen und 16 Männer, Frauen und Kinder abschlachteten. Erstmals in der Geschichte Brasiliens wurden fünf der Täter daraufhin des Völkermords angeklagt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch bereits nach sechs Jahren Haft wurde mit Pedro Emiliano Garcia einer der Haupttäter wieder auf freien Fuß gesetzt, der wieder aktiv ist im illegalen Goldgeschäft von Roraima.

Goldsucher arbeiten illegal auf dem Land der Yanomami. (Brasilien, 2003) Foto: Survival

Es gebe die unmittelbare Gefahr eines weiteren Völkermords an den Indigenen, hatte bereits im vergangenen Jahr auch Brasiliens stellvertretender Generalstaatsanwalt Luciano Maia gewarnt. Doch nicht nur physische Gewalt droht von den Goldsuchern. Sie schleppen auch Infektionskrankheiten und Seuchen in das Reservat. So haben sich laut Hutukara die Fälle von Malaria bei den Yanomami seit 2014 vervierfacht. Das Coronavirus wurde ebenfalls eingeschleppt und hat bereits zu mehreren Todesfällen gerade auch bei Kindern geführt. Wenigstens zehn Yanomami-Kinder sollen bereits an den Folgen gestorben sein. Und nicht nur dies: „Sie verseuchen auch unserer Flüsse mit Quecksilber“, kritisierte Kopenawa. Um den feinen Goldstaub vom Schlamm zu trennen, gelangen große Mengen des Nervengifts in die Umwelt mit schweren Langzeitfolgen für die Nahrungsmittelsicherheit der Indigenen.

Die Yanomami-Reservation ist nicht das einzige Stammesgebiet, das von illegalen Goldschürfern in Brasilien heimgesucht wird. So berichteten die Munduruku im Amazonas-Staat Pará vergangene Woche von neuen Attacken durch illegale Goldgräber. Und der Rio Madeira gilt seit Jahren als einer der am stärksten mit Quecksilber belasteten Amazonaszuflüsse.

Der Staat tut effektiv kaum etwas dagegen. Im Gegenteil: „Wir haben einen Präsidenten und einen Umweltminister, die die illegale Goldausbeutung befürworten und fördern«, erklärte Francilene dos Santos Rodrigues, Soziologin an der Bundesuniversität von Roraima. »Es gibt eine Lobby, die die Großen bevorzugt, die die Großen finanziert oder die Politiker unterschiedlichster Parteien kauft. Politiker, die vom Volk gewählt werden, aber dafür bezahlt werden, dass sie Gesetze verabschieden, die die Ausbeutung von indigenen Gebieten begünstigen.“

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Die Erstveröffentlichung erfolgte in der „junge Welt“ vom 31.05.21

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