Deutschland muss mutiger gegen den Klimawandel vorgehen

Deutschland muss mutiger gegen den Klimawandel vorgehen
Foto: Pixabay CC0

Eine Frage der Gerechtigkeit: Deutschland muss mutiger gegen den Klimawandel vorgehen

Ein Kommentar von Steve Trent, Geschäftsführer der EJF

Das deutsche Klimakabinett wird am 2. Dezember zum ersten Mal seit Monaten tagen. Mit nur einem Jahr bis zu den entscheidenden Gesprächen der UN-Klimakonferenz und zehn Monaten bis zu den Bundestagswahlen muss Deutschland seinen zögerlichen Ansatz ablegen und entschlossen handeln. Deutschland kann und muss in der Klimakrise eine europäische und globale Führungsrolle annehmen.

Nach Monaten der Stagnation trifft sich das Klimakabinett um Bundeskanzlerin Angela Merkel, um über den Stand der Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 zu beraten. Monate, die von der Corona-Pandemie geprägt waren. Während Covid-19 die Welt weiter in Atem hält, dürfen wir nicht vergessen, dass wir vor einer weiteren Krise stehen, die unsere Vorstellungskraft übersteigt.

Der klimatische Notstand bleibt das Thema unserer Zeit. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass das Überleben vieler von dem Erfolg im Kampf gegen die globale Erwärmung abhängt. Das Problem zu begutachten bedeutet nicht, etwas dagegen zu unternehmen. Deshalb fordert die Environmental Justice Foundation (EJF) im Zusammenschluss mit mehr als 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen der Deutschen Klima-Allianz das Klimakabinett auf, mehr als nur eine weitere Beurteilung der Lage vorzulegen.

Zu zaghaft, zu viele Kompromisse

Das Klimakabinett muss sicherstellen, dass die Klimaschutzziele für 2030 erreicht werden. Paradox dabei ist, dass die deutsche Klimaschutzpolitik nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Neben einigen guten Ansätzen enthält das Klimaschutzprogramm 2030 zu viele Kompromisse. Insgesamt bleiben die Maßnahmen massiv hinter dem Ziel zurück, den deutschen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu leisten.

Deutschland ist heute längst kein Vorreiter mehr: im Climate Change Performance Index liegt es nur noch auf Platz 23. Aber es kann seine Vorbildfunktion wiederbeleben. Da bis zur Bundestagswahl noch zehn Monate verbleiben, ist es eine große Chance für die amtierende Bundesregierung, die Zukunft des deutschen Klimaschutzes zu gestalten. Dies bedeutet jedoch, dass sie deutliche Fortschritte in ihren Klimaschutzmaßnahmen erzielen muss.

Statt blumiger Worte, mehr Taten für den Klimaschutz

Mutlose Klimapolitik überwinden

Die Welt hat gerade das heißeste Jahrzehnt erlebt, das jemals aufgezeichnet wurde. 2020 erleben wir wahrscheinlich einen neuen Rekord: Mit einer Chance von fast 75% wird es das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Die EJF fordert die Bundesregierung auf, das 2015 beschlossene Pariser Klimaabkommen rasch und in allen Teilen umzusetzen. Stetes Ziel: die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Dazu muss das deutsche Klimakabinett solide Anstrengungen unternehmen und ehrgeizigere Emissionsreduktionen zusagen.

Mit dem im vergangenen Jahr verabschiedeten Klimaschutzgesetz hat sich Deutschland verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das Ziel 2050 ist mit einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nicht vereinbar. Auch der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen hat erklärt, dass Deutschland die CO2-Neutralität bis etwa 2035 erreichen muss. Nur so bestehe eine reale Chance, den Beitrag zum Pariser Abkommen zu leisten.

Jeder noch so kleine Temperaturanstieg ist kritisch. Nach Angaben des Weltklimarates hätte ein Anstieg von 2 °C wesentlich schwerwiegendere Folgen als 1,5 °C: So wären etwa durch den Meeresspiegelanstieg voraussichtlich zehn Millionen Menschen mehr betroffen. Laut UNO ist der Zusammenbruch des Klimas für eine annähernde Verdoppelung der Naturkatastrophen in den letzten 20 Jahren verantwortlich.

Schluss mit unserer Sucht nach fossilen Energien

Zur Bewältigung der Klimakrise ist der Energiesektor zentral. Doch in den vergangenen Jahrzehnten waren die erneuerbaren Energien für das deutsche Wirtschaftsministerium bestenfalls ein Randthema. Der vorliegende Entwurf zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes reicht nicht aus, um den Weg für den notwendigen Ausbau dieser Energien zu ebnen. Wir müssen unsere Sucht nach fossilen Energien beenden.

Was es jetzt braucht, sind wirklich innovative Ansätze für unseren globalen Energiebedarf. Der jährliche Ausbau der Wind- und Solarenergie muss deutlich schneller vorangetrieben werden als von der Regierung geplant. Bis 2035 muss Deutschland seine Energieversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umstellen – ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel wie eine Studie des Wuppertal Instituts zeigt.

Trotz Zusagen haben die Emissionen des deutschen Verkehrs in den letzten Jahren zugenommen. Wenn sich die Menschen wirklich vom Auto entwöhnen sollen, muss die Regierung tragfähige Alternativen bieten und den Wandel im Transportsektor vorantreiben. Dazu gehört der Ausbau des Fuß- und Radverkehrs, der Bahn und des öffentlichen Verkehrs. Leider werden auch bei der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes keine Fortschritte erzielt. Eine sozial gerechte, massive Erhöhung der energetischen Sanierungsrate auf rund 4% pro Jahr – gegenüber derzeit 1% – ist notwendig.

Peter Altmaiers Wolkenkuckucksheim

Eine humanitäre Krise

Die Klimakrise betrifft unmittelbar die Menschenrechte. Die durch den Klimawandel verursachten Verluste und Schäden stellen schon jetzt eine große Bedrohung für die grundlegendsten Rechte der Betroffenen dar. Sie bedrohen den Zugang zu Wasser und Nahrung, das Recht auf Gesundheit und angemessene Unterkunft, das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf das Leben selbst.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte schätzt, dass zwischen 2030 und 2050 „250.000 zusätzliche Todesfälle pro Jahr durch Unterernährung, Malaria, Durchfallerkrankungen und Hitzestress […] auf den Klimawandel zurückzuführen sein [werden]“. Seit 2008 wurden jedes Jahr 21,7 Millionen Menschen aufgrund von wetterbedingten Katastrophen innerhalb ihrer Heimatländer vertrieben. Und fast alle Todesfälle durch wetterbedingte Katastrophen verzeichnen die 50 am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Jene, die weniger als 1% der globalen CO2-Emissionen verursacht haben. In Verbindung mit der Zerstörung der Natur verschärft der Zusammenbruch des Klimas Armut, Ungleichheit und Konflikte.

Trotz dieses eindeutigen humanitären Zusammenhangs mangelt es der internationalen Klimapolitik nach wie vor an einem menschenrechtsorientierten Ansatz. Regierungen auf der ganzen Welt müssen betroffene und schutzlose Gemeinschaften bei der Gestaltung ihrer Politik berücksichtigen. Und sie müssen ihren Schutz garantieren. Und erst recht darf Deutschland keinen unverhältnismäßig hohen Anteil an den Pro-Kopf-Emissionen für sich beanspruchen. Als bedeutender Emittent hat das Land eine besondere Verantwortung und muss daher seine Emissionen schneller als der weltweite Durchschnitt reduzieren.

Klimagerechtigkeit

Die Klimakrise offenbart die vernichtende Geschichte der Ungerechtigkeiten, die hinter unserem Versagen beim Schutz unserer Umwelt stehen. Diejenigen, die am wenigsten zu den globalen Treibhausgasemissionen beigetragen haben, werden zuerst und am schlimmsten getroffen. Es sind jene Gemeinschaften im globalen Süden, die bereits jetzt am wenigsten haben. Den Folgen des Zerfalls und der Zerstörung der Umwelt können sie kaum etwas entgegensetzen und sie erhalten nicht die Möglichkeit, sich anzupassen.

Wiederum jene, die an vorderster Front für Umwelt- und Klimagerechtigkeit kämpfen, müssen in vielen Teilen der Welt um ihr Leben fürchten. 2019 wurden 212 Umweltaktivist*innen getötet. Das entspricht vier Menschen pro Woche. Auch indigene Gruppen, die einige der einzigartigsten Ökosysteme der Erde verteidigen, werden bedroht und verdrängt.

Deutschland kann nicht nach Klimalösungen suchen und zugleich an einem System festhalten, dessen Nährboden die globale Ungerechtigkeit ist. Die Lasten des Klimaschutzes müssen unter echter Beteiligung aller Betroffenen gerecht verteilt werden. Als fortschrittliche, wohlhabende Nation sollte Deutschland die Forderung nach Klimagerechtigkeit anführen und Menschenrechte, Entwicklung und Klimaschutzmaßnahmen zusammenbringen.

Jetzt ist der Moment, den Weg zu ebnen

Die Klimakrise macht keine Pause. Gerade deshalb muss das Klimaschutzprogramm 2030 jetzt gestärkt werden. Die Bundesregierung hat erkannt, dass Deutschland als eine führende Industrienation eine besondere Verantwortung für den globalen Klimawandel trägt. Jetzt ist es an der Zeit, der Welt zu zeigen, dass sie ihrer Verantwortung gerecht wird.

Die Bundesregierung muss die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens vorantreiben; im eigenen Land, in der EU und international. Sie muss ihren eigenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Emissionsminderung und zur Finanzierung des Klimaschutzes nachkommen. Die nächste Legislaturperiode wird entscheidend sein, in der jetzigen kann der Weg geebnet werden. Das erfordert Mut zu wirklichen Veränderungen. Es war noch nie so dringend wie heute.

Environmental Justice Foundation (EJF) 

Screenshot Youtube

Über den Autor:

Steve Trent ist Gründer und Direktor von EJF und verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bereich Umweltschutz sowie im Bereich Interessensvertretung. Er selbst hat bereits mehrere verdeckte Untersuchungen durchgeführt und Kampagnen in über 30 Ländern geleitet, darunter in Bangladesch, Brasilien, Kambodscha, Ecuador, Indonesien, Liberia, Sierra Leone, Thailand und Vietnam.

Steve ist Mitbegründer und Präsident von WildAid, wo er Programme zur Bekämpfung des illegalen Handels mit Wildtieren in China und Indien leitete. Zuvor war er Kampagnendirektor bei der Environmental Investigation Agency (EIA).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.